Streit der Woche: "Sommerzeit ist Lichttherapie"
Am Sonntag wird die Uhr um eine Stunde zurückgestellt. Der Wechsel ist schädlich, sagt ein Biologe. Eine Chance für Depressive, sagt ein Psychologe.
BERLIN taz | Seit über dreißig Jahren wird in Deutschland zwei Mal jährlich die Uhr umgestellt. Im Sommer stehen wir eine Stunde früher auf, im Winter kehren wir zur Normalzeit zurück – wie auch jetzt am Sonntag.
"Nutzlos" und "schädlich" nennt Till Roenneberg diesen Wechsel. Der Biologe erforscht, wie die Zeitumstellung den Biorhythmus der Menschen beeinflusst. "Die inneren Uhren richten sich nur nach Licht und Dunkel und gehorchen daher dem Sommerzeit-Diktat nicht", schreibt er im "Streit der Woche“ der sonntaz. So bekämen Menschen im Sommer weniger Schlaf als im Winter, und "Schlafmangel erhöht das Risiko, kränker, dümmer und unfreundlicher zu werden."
Schlafforscher Jan Born dagegen will die Zeitumstellung behalten. Er verweist auf Studien zum positiven Einfluss von Tageslicht auf demente und depressive Menschen. "So gesehen ist die Sommerzeit eine kollektive Lichttherapie", schreibt Born. Gesundheitliche Risiken durch die gewonnene oder verlorene Stunde seien gering.
Auch SPD-Europaabgeordnete Kerstin Westphal sieht keinen Grund, weshalb die EU die Zeitumstellung abschaffen sollte. Diese sei keine Vorgabe der EU, sondern eine "Entscheidung der Mitgliedstaaten." Eine Richtlinie der Europäischen Union habe die Umstellung lediglich vereinheitlicht. Bei einer Umfrage 2007 habe kaum ein Land die Notwendigkeit gesehen, "von der gültigen Praxis abzuweichen", auch Deutschland nicht. Westphal ist überzeugt, dass "aus Binnenmarkt-Sicht eine Abschaffung neue Probleme schaffen würde."
Wladimir Kaminer erinnert daran, dass Russland im März die Zeitumstellung abgeschafft hat. Um die wirklich dringenden Dinge kümmere sich Präsident Medwedjew jedoch nicht. Die EU solle ruhig bei der Zeitumstellung bleiben und "ihre Zeit mal lieber darauf verwenden, sich über ihre Zukunft Gedanken zu machen", schreibt der Schriftsteller in der sonntaz.
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Für Herbert Reul, Europaabgeordneter der CDU, ist die Zeitumstellung sehr wohl Thema der Politik. Er möchte die Regelung kippen. "Warum kehren wir nicht zum Normalzustand zurück?", fragt er. "Energie wird nicht eingespart! Trotzdem belästigen wir ganz Europa mit der Umstellung." Die Politik habe nicht die Kraft, einmal getroffene falsche Entscheidungen zurückzunehmen.
Außerdem diskutieren im "Streit der Woche" der aktuellen sonntaz Gudrun Kopp, FDP-Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Zeitforscher Jürgen Rinderspacher, Christian Friege, Vorstandsvorsitzender von LichtBlick und taz-Leser Friedrich Weitner.
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