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Streit der WocheMuss man die Wahrheit sagen?

Im Wahlkampf werden Versprechen gemacht. Viele werden gebrochen. Kann man Politiker an ihren Worten messen? Oder ist das unfair?

Schön dich zu sehen. Mit welchen Mitteln haben Obama und Romney bei ihrem Rededuell zu überzeugen versucht? Bild: dapd

1994 hatte der Psychologe W. P. Robinson angemerkt, dass Politiker zu den Berufsgruppen zählen, von denen man erwartet, belogen zu werden. Kommende Woche, am 16. Oktober, treffen die beiden US-Präsidentschaftskandidaten, Barack Obama und sein republikanischer Herausforderer, Mitt Romney, zum zweiten TV-Duell vor der Kamera zusammen.

Bereits bei ihrem ersten Duell am 3. Oktober haben beide versucht, das Publikum von ihren politischen Standpunkten und Zielen zu überzeugen und die Fehler des Gegners offen zu legen. Doch mit welchen Mitteln haben Obama und Romney zu überzeugen versucht? Haben Sie das Publikum im Saal und die Zuschauer vor den Fernsehern wahrheitsgemäß mit Fakten überhäuft? Haben Sie für ihre Äußerungen Belege genannt, um deren Richtigkeit zu untermauern?

Innerhalb kürzester Zeit durchforsteten die Fact-Checker der New York Times, der Washington Post und des Blogs Factcheck.org die Aussagen Obamas und Romneys und stellten fest, dass so manche Äußerung nicht gestimmt habe. Romneys Vorwurf an den Präsidenten etwa, er würde zugunsten seiner Gesundheitsreform „Obama-Care“ an der bestehenden Krankenversicherung für Senioren und Behinderte sparen und diese um 716 Millionen US-Dollar kürzen, wird etwa von den Fact-Checkern der Washington Post korrigiert.

Die komplizierte Rechnung, die sich auch auf factcheck.org prüfen lässt, zeigt vielmehr, dass die Versorgungsempfänger durch die Reform sogar profitierten, da Leistungen verbessert würden. Andererseits übertreibe der Präsident laut politfact.com mit seiner Behauptung, Romney würde durch seine geplanten Steuersenkungen Amerika in den Ruin treiben.

Während in den USA die Fact-Checker die Wahrheit überprüfen und in der heißen Phase des Wahlkampfes ihre große Zeit haben, steht in Deutschland knapp ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl vor allem SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück vor der Frage, wie er es mit der Wahrheit hält: Soll er die Höhe seiner umstrittenen Nebenverdienste komplett veröffentlichen? Und darüber hinaus auch benennen, wer ihm Honorare für Vorträge überwies? Nutzt ihm die volle Wahrheit oder schadet sie ihm?

Bild: taz
sonntaz

Den kompletten Streit der Woche lesen Sie in der sonntaz vom 13./14. Oktober 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.

Und was, wenn Steinbrück kommendes Jahr bei der Bundestagswahl gegen Merkel antritt - sollen die Kandidaten den Wählerinnen und Wählern die Wahrheit und nichts als die Wahrheit auftischen, auch wenn sie unbequem ist und Wahlchancen mindert? Oder ist es legitim, bestimmte Dinge zurückzuhalten, weil es nicht um Details geht sondern erst einmal um Machtgewinn? Ganz im Sinne des SPD-Politikers Franz Müntefering, der einst gesagt hatte, es sei unfair, Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen.

Muss man im Wahlkampf immer die Wahrheit sagen? Sagen Sie es uns! Die taz wählt unter den interessantesten Kommentaren ein oder zwei aus und veröffentlicht sie im Wochenendmagazin sonntaz. Der Kommentar sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit dem Namen und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors versehen sein. Oder schicken Sie uns bis Mittwochmittag eine Mail an: streit@taz.de

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7 Kommentare

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  • KK
    Karl K

    Da schau her. Eine CSU-Politikerin kann Heinz von Foerster

    ( Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners )!

    Hoffentlich nicht in der Franz Josef Strauß-Variante.

     

    Immerhin eine Konstruktivistin in der CSU.

    Erich Mühsam ( Literaten an die Wand ) und Oskar Maria Graf ( Verbrennt mich ) hätten geschmunzelt.

  • HL
    Heike Lindenborn

    Wenn ich ernst genommen werden möchte, bei welcher Aussage auch immer, muß ich schon die ungeschönte Wahrheit sagen, um nicht als Vollidiot abgestempelt zu werden. Ansonsten dürfen wir uns über Jugendliche, die "aus dem Ruder laufen" weder wundern noch beschweren.

     

    Wie der Herr, so´s Gescherr!

  • J
    Jojas

    @Uwe Roos: Ich habe gelogen, betrogen und gestohlen in meinem Leben, und das nicht zu knapp. Auch habe ich Versprechungen gemacht, bei denen ich Zweifel hatte, ob ich sie einhalten kann.

    Aber ich hatte niemals Verantwortung für 80 Millionen Menschen, die Konsequenzen meiner Handlungen gingen nie über mein näheres Umfeld hinaus (abgehen von einem Supermarkt, dessen Sicherheitsvorkehrungen im Laufe meiner Jugend verschärft wurden). Dabei finde ich übrigens nicht, dass ich mich groß von meinen Mitmenschen unterscheide.

     

    Ich habe nichts dagegen, wenn jemand, der Verantwortung für unser aller Leben übernimmt, im Supermarkt ein bißchen klaut, seine Frau betrügt und seiner Freundin falsche Versprechungen macht.

    Aber sobald er Macht in den Händen hält, die das Schicksal Tausender oder Millionen von Menschen beeinflusst, halte ich es für unabdingbar, dass er mit dieser Macht auf eine integre Weise umgeht.

     

    Man muß in einer Demokratie wissen, woran man ist bei jenen, welchen man die Macht überträgt, sonst ist das ganze Konzept Demokratie für die Katz. Schließlich fußt es auf der Idee, dass die Gewählten repräsentativ für die einstehen, die sie gewählt haben. Das können sie aber nicht, wenn sie den Menschen wissentlich die Wahrheit vorenthalten.

    Sollten sie das tun, fördern sie Politik- und Demokratieverdrossenheit und eventuell auch Radikalismus als Folge von Protestwählertum.

     

    Man sollte also doch, finde ich, Maßstäbe gewichten. Und zwar basierend auf der Macht, die ein Mensch in Händen hält. Je größer die Macht, desto schärfer sollten diese Maßstäbe zur Geltung kommen. Und erfüllt jemand sie nicht, sollte man sich bemühen, ihm diese Macht wieder zu entziehen.

  • V
    vic

    Politikern glauben? Schlechte Nachrichten glaube ich sofort, der Rest ist gelogen.

    Wer also aufgrund toller Versprechen wählt, hat es nicht anders verdient als enttäuscht zu werden- zieht aber andere (wie mich) mit rein.

    Nicht gut!

  • UR
    Uwe Roos

    Die Frage impliziert die Unterscheidung zwischen einer politischen und sozial-gesellschaftlichen Wahrheit. Beide werden unterschiedlich gewichtet. Von der Politik und ihren Repräsentanten erwarten wir eine unabdingbare Wahrheit, die wir als Gesellschaft niemals erfüllen können. Wir erschaffen damit einen künstlichen Raum, in dem andere Werte und Wertvorstellungen als absolut angesehen werden. Psychologisch gesehen, würde es mit einer holistischen Wahrheit eine Zivilisation, wie wir sie kennen und leben nicht geben.

  • T
    T.V.

    Soll das ein Witz sein? Unfair von denen die uns regieren die Wahrheit zu verlangen? Ich wähl also jemanden, damit er mir mein Bankkonto leerräumt oder wie? Schlechter Scherz

  • S
    Sebastian

    Wahlversprechen abgeben in dem Wissen, sie nicht einhalten zu können: Standardrepertoire der Politik, und gleichzeitig eine unfassbare Bevormundung der Wähler*innen, denen nicht zugetraut wird, zum Wohle des Landes zu entscheiden, weil wir doch alle nur auf Steuererleichterungen schielen. Peinlich und arrogant. Wer sein Wort gibt, muss es einhalten, nur das ist fair.