Streit der Woche zu Wahlen: "Wir wählen uns wirr"
Wahltermine sollten zusammengelegt werden, fordert Silvana Koch-Mehrin (FDP). „Ein Einheitswahltermin verführt zur Einheitsstimme“ hält Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel dagegen.
BERLIN taz | Nach der Abstimmung in Nordrhein-Westfalen plädiert Silvana Koch-Mehrin, Vorsitzende der FDP Fraktion im Europäischen Parlament, für weniger Wahltermine in Deutschland. „Weder den Bürgern noch den Politikern ist ein Dauerwahlkampf zuzumuten“, schreibt sie im Streit der Woche in der sonntaz. Sinnvolle politische Arbeit brauche Zeit und Ruhe zum Nachdenken. „Wir wählen uns wirr. Jeder Urnengang wird als eine Testwahl für die Bundesregierung interpretiert“, schreibt die Vizepräsidentin des EU-Parlaments.
Auch Meinungsforscher Matthias Jung, Vorstand der Forschungsgruppe Wahlen, ist der Meinung, dass in Deutschland zu oft gewählt wird. „Politik neigt so zwangsläufig wahlweise zu populistischen Versprechungen oder zum Hinauszögern von unpopulären Entscheidungen“, schreibt Jung in der sonntaz.
Dagegen spricht sich Bernhard Vogel, ehemaliger CDU-Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und Thüringen, für die Beibehaltung der bisherigen Praxis aus. „Bei zusammengelegten Wahlen verliert jede einzelne Wahl an Profil, an Bedeutung“, schreibt er im Streit der Woche. Ein Einheitswahltermin verführe zur Einheitsstimme. „Sicher ist eine Landtagswahl ein politischer Stimmungstest“, stellt Vogel fest, auch für die Bundespolitik. Dadurch sollte sich jedoch keine andere Regierung irre machen lassen.
Den gesamten Streit der Woche lesen Sie in der aktuellen vom 15./16. Mai 2010 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.
„Lasst den Wählern ihre Wahlen“, fordert auch Jörg Schönenborn, WDR-Chefredakteur und ARD-Wahlmoderator. Wahlen seien ein Akt der gesellschaftlichen Hygiene. Der Wahlzettel sei fast immer ein Denkzettel für Berlin. „Die Nordrhein-Westfalen haben dem Rest der Republik aus dem Herzen gesprochen“, schreibt Schönenborn in der sonntaz. Das Problem seien nicht die Wahlen oder Wähler, sondern die Parteien. „Das Schlimmste wäre es, wenn sich die Parteien vier Jahre hinlegen könnten. Im Gegenteil: gut, dass sie sich regelmäßig stellen müssen“.
Franziska Drohsel, scheidende Bundesvorsitzende der Jusos, sieht das Problem der sinkenden Wahlbeteiligung nicht in der Fülle der Wahltermine. „Immer mehr Menschen verlieren das Vertrauen, dass Parteien ihre Interessen glaubwürdig und konsequent vertreten und es deshalb lohnt, sie zu wählen“, sagte Drohsel taz.de. Die schlechte Wahlbeteiligung sei gerade für die gesellschaftliche Linke ein Problem. „Es ist deshalb Aufgabe linker Politik deutlich zu machen, dass individuelle Probleme wie Arbeitslosigkeit nur kollektiv gelöst werden können.“ Menschen müssten sich links engagieren. „Darum lohnt es zu kämpfen“, so Drohsel. Am Mittwoch hatte sie bekannt gegeben, dass sie als Chefin der Jusos im Juni vorzeitig zurücktreten wird.
Im Streit der Woche äußern sich außerdem Tom Buhrow, Moderator der ARD-Tagesthemen, DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier und Kommunikationsprofessor Frank Brettschneider.
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