piwik no script img

Streit der Woche in der Sonntaz"Hellwach" oder im Tiefschlaf

Verschlafen die Gewerkschaften die Krise? Der Ex-Grüne Oswald Metzger wirft den Gewerkschaften Ignoranz vor. Ver.di-Chef Frank Bsirske hält die Kritik für ungerecht.

Kein Hellseher: Ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske. Bild: dpa

Bild: taz

Diskutieren Sie mit beim nächsten SonntazStreit, ab kommenden Dienstag auf taz.de/streit. Die taz wählt einen Beitrag aus und veröffentlicht ihn am folgenden Wochenende in der Sonntaz auf Seite 14, in der Rubrik "Streit der Woche".

BERLIN| Eine Woche vor dem Tag der Arbeit am 1. Mai hat der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske, dem Vorwurf widersprochen, die Gewerkschaften würden die Krise verschlafen. Wer behaupte, "die Geschwindigkeit, das Ausmaß und die zerstörende Dynamik der Weltwirtschaftskrise vorhergesehen zu haben, der ist entweder Hellseher oder er lügt," schreibt Bsirske im Streit der Woche der an diesem Samstag erscheinenden Sonntaz. Im übrigen seien es die Gewerkschaften, die seit langem "vor Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Güter und Aufgaben, dem Lohn- und Sozialdumping im EU-Binnenmarkt und dem Abbau des Sozialstaates in Deutschland warnen."

Demgegenüber sagt der zur CDU übergetretene ehemalige Grüne Finanzpolitiker Oswald Metzger, die Gewerkschaften zeigten mit überzogenen Lohnforderungen, dass sie die Finanz- und Wirtschaftskrise schlicht ignorierten. Dass Deutschland viele Jahre Exportweltmeister war, dürfe nicht mehr als Beleg dafür gelten, "dass die hohen Bruttoarbeitskosten volkswirtschaftlich verkraftbar sind."

Auch die linke Politikerin Lucy Redler von der Sozialistischen Alternative (SAV) wirft der Gewerkschaftsführung vor, die Krise verschlafen zu haben: "Während tausende Mitglieder am 28.3. demonstrierten, setzt die DGB-Führung auf Zugeständnisse an die Arbeitgeber statt auf Gegenwehr," schreibt Redler im Streit der Woche.

Genau andersherum beurteilt Attac-Mitbegründer Sven Giegold, derzeit Grüner Kandidat fürs Europaparlament, die Situation: Nicht "die Gewerkschaften" als Organisationen seien für die Krise und die Defizite verantwortlich, sondern "die Haltungen der meisten Gewerkschaftsmitglieder, denen nach sozialer Bewegung wenig zumute ist."

Giegold hofft auf eine große Mobilisierung zu den europaweiten Gewerkschafts aktionen am 14.-16. Mai. Redler ist das zu wenig: "Der nächste Schritt muss ein eintägiger Generalstreik sein," fordert sie.

Uwe Hück, der Konzernbetriebsratsvorsitzende der Porsche AG, verteidigt hingegen die Position der Gewerkschaften, sich vorrangig um den unmittelbaren Erhalt von Arbeitsplätzen zu kümmern. Notwendig sei dazu zum Beispiel die Verlängerung der Kurzarbeit von derzeit 18 auf 24 Monate. Die Gewerkschaften seien "hellwach", als Soziallobby müssten sie allerdings Arbeitsplätze retten. Das sei viel zu eng, widerspricht der Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, Monty Schädel, und konstatiert, die Gewerkschaften "haben auf diese Weise ihre Funktion als gesellschaftlich eingreifende und gestaltende Kraft verloren."

Den kompletten "Streit der Woche" mit allen Beiträgen lesen Sie in der neuen sonntaz - ab Samstag zusammen mit der taz am Kiosk.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

5 Kommentare

 / 
  • H
    hto

    Die Jungs und Mädels in den Gewerkschaften sind HELLWACH - sie nutzen IHRE Chancen!

  • V
    vic

    Jedem seine Lobby. Aber wer vertritt die Rechte und Nöte derer, die "im besten Alter" krankheitsbedingt auf der Sondermülldeponie des Arbeitsmarkts landen?

    Im besten Fall und ausreichend schwerer Erkrankung, wird man nach langem Behörden-Spießrutenlauf als Erwerbsunfähigkeitsrentner anerkannt. Und erhält dann, wenn man Glück hat gerade so das Existenzminimum. So wird man sehr schnell vom "Leistungsträger" zum Muli.

    Und wen interessiert das?

  • J
    Jochen

    Natürlich hängen die beiden Entwicklungen zusammen: Der Abbau des Wohlfahrtsstaates und die Deregulierung an den Finanzmärkten wird von sogenannten "Neo-Liberalen" seit Jahren vorrangetrieben. Dabei kommt es immer auf die jeweiligen Machtverhältnisse in den betroffenen Ländern an, und auf die vorherrschende Ideologie. Im konservativen Deutschland geht die Umverteilung zu Gunsten der Reichen leichter als im sozialdemokratischen Schweden. Dort gibt es trotz der konservativen Regierungspartei höhere Bildungs- und Weiterbildungsausgaben, mehr Kinderbetreuung und folglich mehr Kinder, sowie positive Staatshaushalte, es konnten somit die Staatsverschuldung reduziert werden. Von 1992 bis 2004 gab es drastische Reallohnerhöhungen von über 25 Prozent, während sie in Deutschland bei -0,8 liegen. Die Exporterfolge der schwedischen Industrie wurden durch die hohen Abschlüsse im heimischen Diensleistungssektor unterstützt, sodass Schweden uns im Pro-Kopf Einkommen überholen konnte.

    Die deutschen Gewerkschaften haben folglich Recht, wenn sie soziale Gerechtigkeit, Investitionen in die Bevölkerung über Bildung und Nachwuchs (=Humanvermögen) mittels eines größeren Staates fordern.

    Zum Vergleich: Im schwedischen Staat sind 33 Prozent, im deutschen nur 9 Prozent der Erwerbstätigen beschäftigt.

    Die schwedische Gesellschaft löst ihre Probleme mehr oder weniger gut, während in Deutschland die Armut steigt und das Rentensystem nicht mehr finanzierbar sein wird (durch den mangelnden Nachwuchs).

    Die Finanzmarktkrise wird in Schweden durch den konsequenteren Umgang mit den Banken besser gelöst als bei uns.

    Die geringe Arbeitslosigkeit und die hohe Anzahl an Gewerkschaften in Schweden führt oft zu einem Lohnwettbewerwerb, der trotz jahrelanger Propaganda in den deutschen Medien, für das Wachstum förderlich ist.

  • R
    Renegade

    "Wer behaupte, "die Geschwindigkeit, das Ausmaß und die zerstörende Dynamik der Weltwirtschaftskrise vorhergesehen zu haben, der ist entweder Hellseher oder er lügt," schreibt Bsirske im Streit der Woche der an diesem Samstag erscheinenden Sonntaz."

     

    Da sollte er vielleicht mal die Augen aufmachen und nachforschen, was die Libertären seit Jahren prophezeien. Sind die Hellseher?

     

    "Im übrigen seien es die Gewerkschaften, die seit langem "vor Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Güter und Aufgaben, dem Lohn- und Sozialdumping im EU-Binnenmarkt und dem Abbau des Sozialstaates in Deutschland warnen.""

     

    Ah ja, das hat auch viel mit der Voraussage der Wirtschaftskrise zu tun, vor allem der Abbau des Sozialstaates hängt direkt mit den diversen platzenden Blasen, der wenig zukunftsfähigen deutschen Autoindustrie und dem Unverhältnis von Ex- und Importen zusammen.

     

    Im übrigen gibt es auch in den bösen Kreisen, die die Krise schon lange voraussagen die Meinung, dass es die staatlichen Zentralbanken waren, die das Blasenwachsen erst ermöglichten...

  • MT
    marco tullny

    Die Gewerkschaften sitzen in der gleichen Aufsichtsräten wie die Manager und Politiker. Kein Wunder, dass der Mensch von Transnet problemlos zurDB wechseln konnte. Die Gewerkschaften sind zutiefst korrupt und vertseinert.