Streiktagebuch: "Der hetzt die Leute gegen uns auf"
Sabine Bulla, 44, fährt seit 21 Jahren Bus bei der BVG. Seit 19 Jahren ist sie in der Gewerkschaft.
"Ich habe heute zum Mittag schnell was bei Kaisers geholt. Ich hatte ja noch frei, und mein Sohn hat Ferien. Als ich an der Fleischtheke stand, gab es eine Diskussion. Der Verkäufer, ein Bekannter von mir, hat erzählt, dass er am BVG-Hauptgebäude in der Potsdamer Straße vorbeigefahren ist und unseren Leuten, die davorstanden, zugerufen hat: Na ihr faulen Säcke, soll ich euch nen Kaffee bringen. Da hat sich die Verkäuferin eingemischt und zu mir gesagt, sie versteht uns. Ihr Mann ist nämlich auch bei der BVG. Ein Kunde meinte, er verdiene ja auch nur 1.700 Euro im Monat, aber davon könne man doch leben. Ich sagte: Gut, ich habe 1.900, aber noch zwei Kinder. Ob er denn Kinder hat? Nee, hat er gesagt, noch nicht. Siehste, habe ich gesagt, daran sieht man, dass die Leute besser aufgeklärt werden müssen.
Sabine Bulla, 44, fährt seit 21 Jahren Bus bei der BVG. Die taz begleitet sie seit dem ersten Tag durch den BVG-Streik
Auch, was jetzt erzählt wird, dass die Fahrpreise steigen, wenn wir mehr Geld bekommen - das ist doch Spinne, das war längst geplant. Ich habe ja selbst schon zwei Schreiben bekommen, dass die Monatskarten für meine beiden Kinder 15 Euro teurer werden. Aber der Sturmowski von der BVG, der erzählt was anderes, der hetzt die Leute gegen uns auf.
In die Gewerkschaft bin ich 1989 eingetreten. Mein Vater, der auch bei der BVG war, hat gesagt: Wenn du auf den Hof kommst, dann trittst du als Erstes in die Gewerkschaft ein. Na gut, ich bin erst zwei Jahre später eingetreten. Ich saß auch mal im Personalrat, als Nachrückerin, wenn jemand krank war oder Urlaub hatte. Da kriegt man schon einiges mit. Als 2005 der Tarifvertrag geändert wurde und ich die ganzen Personalräte von Ver.di da habe sitzen sehen, die meinten, das lassen wir nicht zu, da dachte ich damals schon: Das ist doch alles schon beschlossen.
Und dann ist es ja auch so gekommen: Wir kriegen kein Weihnachtsgeld und kein Urlaubsgeld mehr. 36,5 Stunden arbeiten wir auch nicht. Manchmal habe ich 40 bis 50 Wochenstunden, ehrlich. Die Überstunden werden auf einem Zeitkonto gutgeschrieben, bezahlt werden die nicht.
Damals sind viele Kollegen bei Ver.di ausgetreten. Die haben gesagt, den Mitgliedsbeitrag legen wir beiseite, und wenn gestreikt wird, dann leben wir davon. Ich bin drin geblieben, denn wenn man wirklich mal in die Bredrouille kommt, ist so eine Gewerkschaft schon sehr hilfreich.
Ach wat, bei Kaisers wollen die jetzt auch streiken? Na, davon hat der hinter der Theke ja gar nichts erzählt. Da geh ich gleich noch mal vorbei und frag nach.
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