Streiks in Bolivien: Morales soll Arbeitsplätze schaffen
Seit fast drei Wochen wird die rohstoffreiche Provinz Potosí von Einheimischen lahm gelegt. Sie fühlen sich von der Regierung vernachlässigt. Die Verhandlungen stocken.
![](https://taz.de/picture/300598/14/bolivien.20100816-15.jpg)
PORTO ALEGRE taz | Auf der Abschlussveranstaltung des amerikanischen Sozialforums in Paraguays Hauptstadt Asunción hat Evo Morales am Sonntag erneut die "Einheit der Völker" beschworen. In einer umjubelten Rede sagte der bolivianische Präsident: "Nur die sozialen Kräfte machen Geschichte, ändern die Politik und die Programme."
Zu Hause jedoch tut sich Morales, der Ende 2009 mit 64 Prozent wiedergewählt worden war, immer schwerer mit seiner Basis. Seit fast drei Wochen wird die Provinz Potosí von aufgebrachten Bürgeraktivisten blockiert, die sich von der Zentralregierung in La Paz vernachlässigt fühlen. Sie wollen am liebsten direkt mit dem Präsidenten verhandeln, doch seit Samstag führen sie in der Hauptstadt Sucre Gespräche mit drei Ministern. Die meisten Touristen, die tagelang festsaßen, hätten Potosí bereits verlassen können, sagte Polizeichef Mario Hinojosa.
Die von einem japanischen Konzern betriebene Silbermine San Cristóbal ist lahmgelegt. In der Stadt werden Benzin und Lebensmittel knapp. An der Straße nach Oruro kam es am Sonntag zu Handgreiflichkeiten zwischen Blockierern und Lastwagenfahrern, bei denen zehn Menschen verletzt wurden. Beim Versuch, eine Dynamitstange zu zünden, wurde einem Bergmann die Hand abgerissen.
Entzündet hatte sich der Generalstreik am Grenzstreit zweier Gemeinden um Kalkvorkommen, die zur Zementproduktion verwendet werden, aber auch um die Erlöse anderer Rohstoffe: "Wir haben Zink, Kupfer und Uran, das wollen die Iraner haben", sagte ein Blockierer. Mittlerweile wird um ein ganzes Forderungspaket verhandelt, über die Inbetriebnahme einer Fabrik zur Silberverarbeitung, den Bau von Landstraßen, einer Zementfabrik und eines Flughafens.
Mit seinem "reichen Berg", dem Cerro Rico, ist Potosí das Symbol schlechthin für die Ausbeutung Boliviens. In der Kolonialzeit wurden von dort mindestens 22.000 Tonnen Silber nach Spanien geschafft, Millionen Indigene und Schwarze schufteten sich dabei zu Tode. Heute schaffen über 10.000 Bergleute mit einfachsten Mitteln Tag für Tag tonnenweise Erdreich aus dem Berg, aus dem sie geringe Mengen von Edelmetallen herauswaschen. Die Provinz Potosí weist die niedrigsten Sozialindikatoren Boliviens auf: 60 Prozent ihrer Einwohner leben in bitterster Armut, jedes zehnte Kind stirbt in den ersten Lebensjahren.
Dass die letzte große Verheißung, die Förderung der enormen Lithiumvorräte in der Uyuni-Salzwüste, daran etwas ändert, glauben vor Ort nur wenige. Lithium ist als Rohstoff für Handys, Computer und Elektroautos begehrt. Morales fährt Ende August zu Verhandlungen mit dem Staatsbetrieb Kores nach Südkorea. "Wenn die Multis das herausholen, bleibt für uns wieder nichts", sagen die Menschen an den Straßenblockaden.
Carlos Mesa, der von 2003 bis 2005 selbst eine stürmische Periode als Präsident durchlebte, sieht unter Morales keine Fortschritte. Das kollektive Verhalten der Bolivianer sei weiterhin von "gewaltsamem" Druck wie Blockaden, Hungerstreiks oder Besetzungen von Behörden oder Firmen geprägt, klagte Mesa in einer Zeitungskolumne: "Diese Gesellschaft hat jegliche Vorstellung von ethischen Werten und Ordnung verloren."
Der Staatschef wird aber auch von links kritisiert. Seine Verspechen von der "Industrialisierung" Boliviens seien bislang nur "reformistische Demagogie", heißt es in einem Artikel der NGO "Zentrum für Volksstudien". Anstatt neue Betriebe zur Verarbeitung der Rohstoffe mit den dazugehörien Arbeitsplätzen zu errichten, vergebe die Regierung weiterhin lukrative Konzessionen an ausländische Unternehmen.
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