■ Streiklicht: Notruf für Kleinunternehmer
Wo bis in die 70er Jahre der „Bauch von Paris“ war – der größte Großmarkt Europas – befindet sich heute eines jener Einkaufszentren aus Beton, Glas und Metall, die sich weltweit zum Verwechseln ähneln. Der besondere Gag von „Les Halles“ sind die sechs Metro- und S-Bahnlinien, die täglich Millionen Menschen in das unterirdische Zentrum schaffen. Normalerweise. Seit drei Wochen hat sich dieser Standortvorteil ins Gegenteil verkehrt: Die 250 Geschäfte und Kinos sind praktisch unerreichbar geworden.
Zwischen zehn und fünfzehn Prozent ihrer üblichen Umsätze realisieren die kleinen Boutiquen von „Les Halles“ gegenwärtig. 40 stehen vor dem Konkurs. Viele haben „technische Arbeitslosigkeit“ für ihre Angestellten angemeldet. Das Problem der PME, wie die „kleinen und mittleren Unternehmen“ im Bürokratenfranzösisch heißen, wächst mit jedem Tag. Sie sind die Basis der Wirtschaft – 2,1 der 2,3 Millionen französische Betriebe sind PME, und sie beschäftigen 69 Prozent aller abhängig arbeitenden Franzosen. In der dritten Streikwoche erhörte die Regierung schließlich die Klagen der „Patrons“ und richtete Notprogramme ein.
Gleich am ersten Tag wurden von über 1.000 Patrons angerufen: Vom Besitzer der Bahnhofsbuchhandlung, der seit Wochen keinen Kunden mehr sieht, bis zur Croissantbäckerin neben einer Metro-Station, der es genauso geht. Daneben Versandhändler. Gänseleberpasteten-, Austern- und Schokoladenverschicker, die rund ums Jahr vom Weihnachtsgeschäft leben, und deren Betrieb wegen des Poststreiks blockiert ist. Sie haben zwar fällige Zahlungen – aber neue Bestellungen und Schecks kommen nicht mehr bei ihnen an.
Die 10 Telefonberater geben Überlebenstips. „Handeln Sie einen Aufschub für ihre fälligen Zahlungen aus. Fahren Sie persönlich zum Finanzamt und erklären Sie Ihre Lage. Erbitten Sie einen kurzfristigen Kredit von Ihrer Bank“, raten sie den Anrufern. Die Regierung hat 100 Millionen Francs für günstige Überbrückungskredite an die PME bereitgestellt. Sie gehen an Banken, die den Kleinunternehmern unter die Arme greifen. Die Patrons erweisen sich als erkenntlich. Der Vorsitzende ihres Verbandes CGPME, Lucien Rebuffel, schimpfte so bitterböse auf die Streikenden in die Fernsehkameras, wie es vor ihm kein anderer gewagt hatte. Und bei einer Meinungsumfrage forderten 71 Prozent der französischen Patrons Juppé gestern zum Durchhalten auf – selbst wenn der Streik noch bis zum Monatsende dauern sollte. Dorothea Hahn, Paris
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