■ Streiklicht: Herr, hilf!
Hilfe von ganz oben erbitten die Katholiken in der nordfranzösischen Stadt Abbeville: Nachdem die weltlichen Akteure auch am 18. Streiktag keine Einigung zustande brachten, rief der Pfarrer gestern abend seine Schäfchen zum Gebet. Die Karmelitinnen öffneten dafür ihre Kapelle. Mit Gesang und Texten aus dem Evangelium sollte dort der „soziale Dialog“ herbeigebetet werden.
Die Karmelitinnen befassen sich häufig mit weltlichen Fragen. In den vergangenen Jahren erregten sie weltweites Aufsehen, weil sie trotz des Protestes jüdischer Gemeinden partout ein Kloster am Gelände des Konzentrationslagers Auschwitz bauen wollten. „Wir sind solidarisch mit der Welt“, erklärt eine Nonne aus dem Pariser „Carmel L'Emmanuel“. Seit dem Streikbeginn beten sie und ihre „Schwestern“, von denen einige halbtags arbeiten und jetzt wie alle Franzosen zu Fuß gehen müssen, für den Frieden. „Die Menschen sind nicht dafür geschaffen, sich zu schlagen“, erklärt die Pariser Karmelitin, „sie sollen miteinander reden.“ Das Gebet könne helfen, die Situation zu klären.
Mit der Schuldfrage bei dem gegenwärtigen sozialen Konflikt befassen sich die Karmelitinnen nicht. „Es gibt Fehler bei der Regierung und bei den Gewerkschaften. Jetzt müssen beide Seiten Opfer bringen“, erklärt die Nonne ausgewogen.
Frankreich ist ein laizistisches Land. Aber die Gläubigen wollen trotzdem nicht „die Arme übereinanderschlagen und nichts tun, wenn es Probleme gibt“. In Abbeville, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und das Rathaus vor wenigen Monaten von einem sozialistischen an einen konservativen Bürgermeister gegangen ist, haben sie sich schon oft um konkrete Probleme in der Kapelle versammelt. Vor einiger Zeit beteten sie für die „Märtyrer von Ruanda“. Jetzt hoffen sie darauf, daß der gesunde Menschenverstand in Paris Einkehr hält.
Als „politisch“ versteht die Ordensfrau in Abbeville das Engagement ihrer Gemeinde nicht. „Ich will nur, daß der Streik aufhört“, sagt sie, „er bringt viele Menschen, die arbeiten müssen, in große Schwierigkeiten.“ Dorothea Hahn, Paris
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