■ Streiklicht: Muzak zum Streik
Ein „mutiger Plan“, lobten die französischen Medien, als Premierminister Alain Juppé am 15. November sein Sparprogramm vorstellte. Jetzt hat der Streik auch die Presse eingeholt; sie wurde gestern selbst Opfer der Streiks gegen den „mutigen Plan“. Druckereien und Vertriebsgesellschaften standen still. Auch mehrere Radiosender waren betroffen. So brachte „France Info“, das normalerweise ununterbrochen quasselt, stundenlang nichts anderes als Muzak – Beruhigungsmusik –, die gewöhnlich Kaufhäuser und Flughafenhallen beschallt. Nur das Fernsehen blieb bislang verschont.
Tatsächlich bietet das französische Fernsehen seit dem 23. November interessante Einblicke in die Arbeitswelt. Täglich flimmern Bilder aus stillstehenden Werkshallen und Eisenbahndepots über die Bildschirme. Und täglich kommen dort Arbeiter zu Wort, die von keiner Rhetorikschulung verfälscht in die Mikrofone schimpfen, was auffallend mit der geschliffenen Sprache französischer Politiker kontrastiert.
Auch das Privatleben der Franzosen ist seit Streikbeginn im Fernsehen präsenter. Vor allem Menschen aus der weit entfernten Pariser Banlieue werden bei ihrer täglichen Odyssee vom Frühstückstisch zur Arbeit von Kameras verfolgt. Daß Madame und Monsieur Dupont beispielsweise eine Stunde und 15 Minuten per Rad unterwegs sind und schweißgebadet im Büro ankommen, erfuhren die Fernsehzuschauer mittags. Am Abend sahen sie die Duponts in umgekehrter Richtung radeln.
Praktische Alltagstips für Menschen im Streik sind inzwischen fester Bestandteil jeder Nachrichtensendung: Die Reporter empfehlen festes Schuhwerk, langen Nachtschlaf und eine ausgewogene und vitaminreiche Diät. Sie erklären, wie man am besten ein Hinweisschild malt, um per Anhalter zu reisen. Wo die von der Regierung gecharterten Streikbrecherbusse halten. Und wo Mitfahrzentralen für Autofahrer eingerichtet wurden.
Übrigens: Welche Tips die taz für die Streikenden hat, kann von hier aus nicht beurteilt werden. Seit drei Wochen kommt das Blatt nicht mehr an. Der Poststreik. Dorothea Hahn/Paris
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