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■ StreiklichtDie Rückkehr der Ellenbogengesellschaft

„Alle gemeinsam gegen den Juppé-Plan“, steht auf der weißen Stelltafel, die für aktuelle Informationen über den unterirdischen Verkehrsfluß gedacht ist. Sie steht im Eingang zur Pariser Metro-Station Jourdain – zwischen den Fahrkartenschaltern und den Drehkreuzen, für die in diesen Tagen kein Billet nötig ist: Bis die Streikspuren beseitigt sind, bleibt die Metro umsonst.

Seit gestern morgen verkehrt die Linie 11 wieder. Noch sind weniger Bahnen unterwegs als vor dem Streik, und sie kommen ein bißchen unregelmäßiger. Aber die Lautsprecher mit dem elektronischen Gebimmel am Anfang und am Ende jeder Durchsage funktionieren wieder. Und über die hölzernen Rolltreppen weht der vertraute lauwarme Wind, der den Duft von abgeriebenen Metro-Bremsen nach oben trägt.

In die Geschäfte rund um die Metro-Eingänge ist das Leben zurückgekehrt. Der Weinhändler hat seine Weihnachtssonderangebote auf die Straße gestellt, und der Mann vom Zeitungskiosk schimpft wieder über seine Kunden. Schon seit Freitag hatten die Bewohner des Quartiers im Fernsehen und im Radio gehört, daß der Metro-Betrieb peu à peu wieder losging. Aber ihre Linie, wo die Gewerkschaften besonders stark sind, stand noch still.

Die ersten Fahrer der 11 werden nicht mit Beifall begrüßt, wie es manchen ihrer Kollegen auf anderen Linien am Wochenende geschehen ist. „Die Leute haben endlich gemerkt, daß jemand in ihrer Metro arbeitet“, hatte einer jener euphorisch begrüßten Ex-Streikenden anschließend gesagt.

Gestern in der Station Jourdain war von Jubel keine Spur. Die Passagiere stiegen mit verschlossenen Gesichtern in die Tiefe, verteilten sich in größtmöglichen Abständen über den Bahnsteig und rempelten sich jeder einzeln zum Bahneingang durch. Kein Lächeln erinnerte mehr an die soeben vergangenen 23 Tage an der Erdoberfläche. An die gemeinsame Geduld im Stau. An den Muskelkater nach den ungewohnten Fußwegen. An die versmogte Luft auf dem Fahrrad. An die handgemalten Anhalterschilder an jeder Ampel.

„Die Pariser sind richtig sympathisch geworden“, war ein häufiger Satz in den Streiktagen gewesen. Die Hauptstädter, die sich fast ohne Murren auf den täglichen Streß umgestellt hatten, waren sich näher gerückt. Fast alle hatten irgendwie mit dem Streik sympathisiert. Und alle hatten gemeinsam unter seinen Auswirkungen gelitten. Das hatte reichlich Stoff für Gespräche und für viele hilfreiche Gesten gegeben.

Die „Bateaux-Bus“ auf der Seine, die von der Regierung als Notverkehr eingerichtet worden waren, fuhren gestern noch. Ein paar Nostalgiker träumten auch noch davon, daß dieser erste öffentliche Personenverkehr auf den Pariser Gewässern seit den 30er Jahren den Streik überleben könnte. Aber da hielt die Stadtverwaltung bereits eine Statistik in Händen, wonach das unrentabel sei.

Gestern war die Ellenbogengesellschaft wieder da. Und mit ihr die Frage, ob sich das alles gelohnt habe. Aber eine Billetverkäuferin versichert zuversichtlich: „Notfalls streiken wir wieder.“ Dorothea Hahn, Paris

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