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Streik für die Helden

Mit einem Generalausstand ehrt das baskische Städtchen Durango zwei bei einer Explosion umgekommene Etarras als gefallene Patrioten

aus DURANGO von DOROTHEA HAHN

Die Flöten und Trommeln des Trauermarsches von Solorzabal schallen von den Arkaden der Kirche Santa María über Lautsprecheranlagen in die zentralen Gassen von Durango hinein. Alle Geschäfte des Industriestädtchens sind geschlossen. Alle Bars verrammelt. Die Straßen sind menschenleer. „Wir trauern um die gefallenen Patrioten“, erklären Handzettel. Wer Baskisch versteht, kann dort auch lesen, dass Durango im „patriotischen Generalstreik“ ist und den „bewaffneten Befreiungskampf“ hoch leben lässt. An Gemäuern hängt ein Poster mit den vier Etarras, die am 7. Juni beim Transport einer Bombe in einem Vorort von Bilbao umkamen.

Zwei der vier jungen Männer sind in Durango geboren. Zigor und Urko waren 22 und 23 Jahre alt. In der 22.000-Einwohner-Stadt kannte sie jeder. Es war nicht zu übersehen, dass sie „Radikale“ waren, wie im Baskenland die Etarras und ihre gewaltbereiten jugendlichen Anhänger genannt werden. Heute werden sie im Portiko – dem Vorraum von Santa María, dem Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens von Durango – als „gefallene Patrioten“ geehrt.

Mehrere tausend Anhänger der ETA haben sich im Portiko versammelt. Sie schauen zu, wie Angehörige von drei bereits in den 70er- und 80er-Jahren „gefallenen Patrioten“ aus Durango je eine rote Rose vor den Fotos der beiden aktuellen Toten ablegen. Wie Mädchen in rot-weißen baskischen Trachtenanzügen vor den Fotos tanzen. Dann lauschen sie dem Vortrag eines Endzwanzigers. Der Sprecher der Nationalistenpartei „Herri Batasuna“ (HB), die die militärischen Aktionen der ETA politisch begleitet, lobt die Toten: „ganz normale baskische Jungen“, beschreibt die „Unterdrückung des baskischen Volkes“ und redet von „Demokratie“. Mitten in seinem Vortrag macht er eine Pause und lässt drei maskierte Männer auf die Bühne springen. Unter Applaus entfalten sie das Emblem der ETA – eine Schlange und eine Axt – und erheben ihre linken Fäuste für ein „unabhängiges, vereinigtes und sozialistisches Euskadi“.

Über den hinteren Reihen des Publikums im Portiko steigt Marihuanaduft auf. Dort sitzen in Leder gekleidete und mit Ringen in Ohren und Nasen dekorierte Jugendliche, die aus Bilbao und San Sebastián gekommen sind. Vorn haben sich die „Bürger von Durango“ versammelt. Ein paar Menschen verdrücken Tränen, als sie einen Diavortrag über das Leben der beiden geehrten Toten sehen. Die Veranstaltung ist genau geplant. Eine Stunde nach Beginn setzt sich vor dem Portiko eine Demonstration in Bewegung, die Durango mit baskischen Fahnen eine Stunde umkreisen und die immergleichen Slogans skandieren wird: „Es lebe der bewaffnete Kampf“, und: „Das Volk vergisst nicht.“

Viele Demonstranten haben an diesem Tag bereits eine ähnliche Machtdemonstration in dem baskischen Ort Hernani absolviert, aus dem der dritte Insasse des explodierten Wagens stammte. Nach der Veranstaltung von Durango reisen sie nach Markina, wo der vierte Tote herkam. In Hernani und Markina verbieten sie Journalisten die Teilnahme. „Ihr habt fünf Minuten, dann garantieren wir nicht mehr für eure Sicherheit“, sagt ein ETA-nahes Ratsmitglied.

In Durango haben die ETA-nahen Politiker der von der HB majorisierten Liste EH den zweiten Platz im Rathaus. Die Mehrheit hat die konservative baskische Nationlistenpartei PNV. Weiter hinten sind auch die konservative PP und die sozialdemokratische PSOE vertreten. Am 4. Juli ist ein konservativer Ratsherr der PP in Durango ermordet worden. Einen Gedenkakt im Rathaus von Durango hat Bürgermeisterin Pilar Ardanza abgelehnt. Warum die Stadt allerdings an diesem „patriotischen Generalstreik“ teilnimmt, erklärt ein Rentner so: „Entweder man macht zu. Oder man bekommt eine Kugel in den Kopf.“

Um 12 Uhr mittags am Tag nach dem ETA-Festakt tritt am Montag die Bürgermeisterin von Durango aus dem Rathaus. Mit rund 50 Bürgern schweigt sie 15 Minuten für den Frieden, wie viele andere spanische Bürgermeister auch. Der Grund: Am Tag zuvor hat die ETA wieder zwei Polizisten ermordet. Der baskische Nieselregen „Sirimiri“ hüllt die Versammelten ein. Um 12 Uhr 15 sagt die Bürgermeisterin, dass die Zeiten „hart“ sind und das Baskenland Frieden braucht.

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