Streik an den Hochschulen: Eine Woche gegen Lohnverzicht
Seit 17 Jahren hat es für studentische Beschäftigte keine Anpassung des Lohns mehr gegeben. Jetzt stehen die Zeichen auf Erzwingungsstreik.
Seit mehr als 17 Jahren hat es für die Studierenden keine Anpassung des Lohns mehr gegeben, im Gegenteil, das Weihnachtsgeld wurde gestrichen. Seit Montag sind die Beschäftigten deshalb zum Warnstreik aufgerufen, um vor der nächsten Verhandlungsrunde mit den Arbeitgebern am 24. Mai Kampfbereitschaft zu signalisieren. Das Ziel der gewerkschaftlichen Tarifkommission ist eine schnellstmögliche Anhebung der Löhne und ihre Kopplung an den Tarifvertrag der Länder, um die strukturelle Schlechterstellung der studentischen Beschäftigten gegenüber anderen Hochschulangestellten zu beenden.
„Sorry we’re closed.“ Im Zugang zum Computerpool der Freien Universität versperrt ein Aufsteller den Weg. Darauf wird auf den Warnstreik verwiesen. Der Benutzerservice wird hier wie an den anderen Berliner Hochschulen vornehmlich von Studierenden getragen. Ihr Stundenlohn beträgt 10,98 Euro. Dieselbe Vergütung erhalten Hilfskräfte in Bibliotheken, an Lehrstühlen, aber auch in der Kinderbetreuung oder technischen Dienstleistungen an Datenbanken und Netzwerken.
„Die Aktivsten im Streik sind naturgemäß die, für die der Lohn hier einen wesentlichen Teil ihrer Lebenshaltungskosten deckt.“ Tom*, der als Entwickler im ebenfalls bestreikten Rechenzentrum der HU arbeitet, muss sich sein Studium komplett selbst finanzieren. Positiv sieht er schon am Montag die im Vergleich hohe Beteiligung am Streik. Die Streiklisten der Gewerkschaften füllen sich zügig, und das trotz der zum Teil schwierigen Vernetzbarkeit der studentischen Hilfskräfte.
Eingeschränkter Service
Der Mobilisierung hilft der einwöchige Aktionszeitraum. Er ermöglicht es, anders als bei den bisherigen eintägigen Streiks, die nur tage- und stundenweise arbeitenden KollegInnen auch tatsächlich zu erreichen. Lisa, die in einer zentralen Einrichtung der Technischen Universität beschäftigt ist, bestätigt diese Beobachtung: „Gut ist auch, dass wir am Samstag streiken. Wie die Abende werden die Wochenendöffnungszeiten der Bibliotheken hauptsächlich von Studierenden abgedeckt, der Einschnitt wird so auch noch einmal deutlicher spürbar.“ Und tatsächlich, mehrere der Hochschulbibliotheken müssen die Spätöffnungszeiten bereits am ersten Streiktag deutlich reduzieren.
Dazu kommen andere Einrichtungen wie das Selbstlernzentrum der FU, das komplett geschlossen ist, ebenso der Studierendenservice mit dem Info-Center für Erasmusstudierende. An der TU, wo ein großer Teil des Studiums durch von Studierenden betriebene Tutorien gestützt ist, sind die streikbedingten Ausfälle unübersehbar. Markus, Student an der Alice-Salomon-Hochschule und tätig im Rechnenzentrum, bringt die Stimmung auf den Punkt: „An der Kasse von Aldi kann man im Moment mehr verdienen als hier. Klar, soziale Berufe erlernt man nicht, um reich zu werden, aber schon allein die drastisch gestiegenen Mieten werden von 10,98 Euro die Stunde nicht mehr aufgefangen.“
Das Streikcafé an der FU nutzt das freundliche Wetter am Wochenanfang und platziert sich gleich auf der Wiese vor der Silberlaube. Felix sitzt neben der Musikanlage in der Sonne. Er arbeitet als Mentor für Studierende in der Orientierungsphase und betont ebenfalls die insgesamt prekären Lebensverhältnisse vieler Studierender. Aber ihm ist noch anderes wichtig in diesem Arbeitskampf: „Wir streiken ja nicht einfach nur für mehr Geld. Es geht doch insgesamt um mehr Anerkennung und Teilhabe, darum, mehr einbezogen zu werden in das Gesamtgefüge der Universität.“
Abstimmung für verschärften Arbeitskampf
Dieses Gesamtgefüge bestimmt auch die Zusammensetzung der Streikaktiven. Die meisten arbeiten in zentralen Einrichtungen wie Rechenzentren und Bibliotheken. Nicht nur können die sich besser vernetzen, auch sind die individuellen Abhängigkeiten nicht so groß, wie es häufig für Hilfskräfte an Lehrstühlen der Fall ist. Celia, Streikende an der HU, bezeichnet das als „feudale Verhältnisse“. Sie berichtet von Bürorundgängen der Aktiven, die hier wie an allen Hochschulen dazu dienen, möglichst viele, gerade auch die eher vereinzelten Beschäftigten an ihren Arbeitsplätzen zu erreichen.
Der Zuspruch zum Warnstreik wird über die Fortsetzung des Arbeitskampfs entscheiden. Die Versammlung am Dienstagnachmittag in der HU gibt nach ausführlicher Diskussion die Richtung vor: Sollte der Warnstreik bis Samstag messbar kraftvoller sein, wird ein zeitnaher Erzwingungsstreik angestrebt. Ein vorläufiger Test für die Stärke der ArbeitnehmerInnen dürfte jetzt die zentrale Streikdemo am Donnerstag (15 Uhr, ab Leopoldplatz) sein.
*Namen sind der Redaktion bekannt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen