: Streifzüge durchs Abenteuer
■ Populär-Kultur im sonntäglichen Fernsehen
(„Das Spiel mit dem Joy-Stick, Traum und Alptraum aus dem Computer“, So, ARD, 11.15 Uhr) Als erstes ein Gefängnis -Ausbruch-Spiel: „Es gibt nur wenige Werkzeuge“, sagt die Stimme aus dem Fernseher, „die sich auch als Spielzeug benutzen lassen.“ Immerhin! Eine treffende Metapher für den Computer und die ihn umrankenden Legenden. Die kritische Auseinandersetzung mit diesem neuzeitlichen Monster ist verstellt von einem Wust von Unwahrheiten, Vorurteilen und vorschnellen Behauptungen, es wimmelt von „erschreckenden“ Computer-Kid-Porträts, geschrieben von Leuten, die sich von anderen Menschen und deren Vergnügen immer belästigt und verstört fühlen.
Markus May versuchte in seinem Film etwas anderes: eine Reise durch alle Reize dieser synthetischen Welt, ein Hantieren mit Bruchstücken unserer Zukunft und der Kultur in und mit der wir leben werden. Denn soviel ist sicher: Computer sind nicht nur eine Form von Spiel und Zeitvertreib. Sie verändern unsere Art und Weise, Realität wahrzunehmen, sie verändern die Art und Weise, wie etwas bedeutet.
Computer kennen keine Moral: Kriegsspiele sind kein Kampf zwischen Gut und Böse, sondern immer ein Triumph des Geschicks über den Ungeschickten. Wer einmal danebentritt, ist aus dem Spiel - aber ohne Gefahr für Leib und Leben. Als die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften 1983 dieses neue Spielzeug entdeckte, verbot sie erst mal einige der kriegerischsten Ballerspiele, wie jenes im Film vorgestellte, in dem der Spieler an irgendeinem Ort in den USA mit seinem Flieger startet, den „Eisernen Vorhang“ überwinden und ein paar Kreml-Soldaten vom Sockel schießen muß, um schließlich dem russischen Diktator in einem Zweikampf gegenüberzustehen. Ein Staat, dessen Armee sich bei jedem Dorffest als technisch-faszinierendes Riesenspielzeug darstellen darf, verbündet sich mit seiner pädagogisch-fürsorglichen Linken, um Kindern zu verbieten, mit Panzer-Abbildungen zu spielen. Dieser merkwürdigen Allianz von sich sonst als unvereinbar betrachtenden Gruppen ist der im Kriegsspiel offen zutage tretende sinnliche Anteil, vielleicht auch das sexuelle Vergnügen an der Gewalt, zuwider. Den Rechten mißfällt es, weil so der Ideologie von der „Rüstung wider Willen“ Hohn gesprochen wird, und die Linken sehen nicht gerne, daß ihre Kinder gar nicht so friedliebend sind, wie sie sie gerne hätten.
Vielleicht reagieren gewisse Erwachsenen so aggressiv auf Computerspiele (wie früher gegen Fernsehen, Comics und Punk gewettert wurde), weil ihnen die Trennung der Kinder von ihnen so drastisch vorgeführt wird. Wie das Märchen, so sagt auch das Computerspiel, daß man hinaus muß, daß man mit Schwierigkeiten konfrontiert sein wird, die nicht mit der einfachen (Familien-)Moral zu bewältigen sind, mit der man sich das Zusammenleben einfach machen wollte.
Diese Märchen- und Abenteuerhelden sind seelenlose Geistererscheinungen (im Fachenglisch treffend sprite genannt), und es gibt Spiele, wo man sich seinen sprite als „Haustier“ halten kann, ihn täglich hegen und sein Puppenhaus in Ordnung halten muß (per Knopfdruck und alles natürlich auf dem Bildschirm). Sicher, etwas befremdend wirkt das schon, wenn Kinder nicht mehr ihren Hamster oder den Kanarienvogel zu Jugend-forscht-Zwecken mißbrauchen, sondern diesen leblosen sprite mit allen Schikanen zu Tode quälen können. Doch die häufig vorgebrachte Behauptung, Kinder verlieren so jeden Kontakt zur Wirklichkeit, widerlegt sich schon durch den Hamster, der sich nun freuen kann, daß nicht mehr er in grausame Kinderhände gerät.
(„Alptraum Eigernordwand - Nach 50 Jahren gefürchtet wie am ersten Tag“, So, ZDF, 19.30) Die Ersteigung dieser legendären Wand soll ein „schauriges Erlebnis“ gewesen sein, erzählt Heinrich Harrer, Erstbesteiger. Diese Dokumentation aber war nichts anderes als beliebiges Gequake von „Zeitzeugen“, ein todlangweiliges Rumgefilme in irgendwelchen Bergen, das aussah wie die Demonstration eines Bergsteiger-Ausrüstungs-Handels an einem Übungshügel. Wenn ideenlose Fernsehfritzen, mit noch so viel Geld und bestem Gerät, herumwerkeln, kommen eben nur ideenlose Fernsehfritzen zum Vorschein, die sich immer selbst loben: „Prima Bilder!“, „Da, das zweite Kamerateam“, „Wir freuen uns schon auf das Zusammentreffen am Gipfel“. Weil man von all dem „Schaurigen“ nichts sieht, muß der Kommentator sein Bestes geben und von Steinschlag, Regen und dem sonderbaren Klang des Windes erzählen. „Bergsteigen ist die Eroberung des Unnützen“, sagte der Franzose, der als zweiter die Eigernordwand schaffte. Und Fernsehen ist manchmal von Blinden gemacht ...
(„Muhammad Ali, der Größte“, Sonntag, Nord III, 20.15 Uhr) Profiboxer, die seit eh und je ihr Geld damit verdient haben, sich zu lebenden Leichen schlagen zu lassen, gehörten nie zu den interessanteren Leuten. Nur einer, Muhammad Ali, bewahrte in den 60ern diesen „Sport“ davor, in der hirnerweichten Langweiligkeit zu versinken. Muhammad Ali hätte einen anderen Sport verdient oder überhaupt etwas ganz anderes - aber niemand, der irgendeine Chance hat, würde sich je fürs Boxen entscheiden. „Den Geist des 20.Jahrhunderts“ nannte ihn Norman Mailer, und dieser Film von William Klein baute noch einmal die Legende in ihrer ganzen Größe auf: wie er das „Clay-Syndikat“, eine abgehalfterte Herrenrassen-Industriellen-Clique, die ihn hochbrachte, sitzenließ (als er endlich ganz oben stand); wie die Beatles vor ihm im Ring posierten und ein Autogramm von ihm wollten; wie er zum Islam überwechselte; wie er dann wieder ganz unten war (Kriegsdienst verweigert und Titel entzogen) und wie er wieder hochkam, das Großmaul: „Ein Weltmeister muß so schön sein wie ich“, und immer wieder „Ich bin der Größte!“.
Alles Große in Amerika war weiß gewesen: Jesus, der Weihnachtsmann, Tarzan, Miss Universum, die Seife und selbst das Bohnerwachs. Muhammad Ali war für das schwarze Selbstbewußtsein wichtiger als alle schönen Reden von Martin Luther King oder Malcolm X: ein Schwarzer ganz oben. Nicht einer, der redet, sondern einer, der draufhaut. „Float like a butterfly, sting like a bee.“ Als er sich seinen Titel 1974 zurückholte, war alles etwas langweiliger: Jetzt faselte er von Allah - nicht mehr Muhammad Ali, sondern Allah sei der Größte. Vielleicht war das sein Untergang ...
Gut, daß sich William Klein einen Dreck um den „Sport“ kümmerte (von den Kämpfen gab's immer nur ein paar kurze Fotos): Boxen ist kein Sport, sondern Geschäft, Medienrummel und Medienmacht. Klein zeigte das Drumherum, das Schöne dieser Legende. Traurig, daß so ein Film erst nach fast 15 Jahren ins deutsche Fernsehen gelangt.
Torsten Alisch
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