Streicher auf Reisen

■ „String Thing“: Ein vielsaitiges Hamburger Quartett

Eigentlich wollte Mike Rutledge Rock-Gitarrist werden. Das war vor 16 Jahren. Als Zehnjähriger übte er Pop- und Rockstücke auf seiner Gitarre. „Ich nahm mir den Anfang eines Liedes und versuchte zu improvisieren“, erzählt Mike. „Im Prinzip mache ich heute immer noch das Gleiche“, flüstert er eher zu sich selbst, als habe er gerade eine Entdeckung gemacht.

Erstmal aber mußte er klassische Gitarre lernen. Jahre später, während des Studiums an der Hochschule für Musik in Hamburg, fand dann Mike den Draht zu dem Instrument, das ihm am meisten liegt: eine fünfsaitige Viola auch Bratsche genannt. „Ich habe es auch mit Geige probiert, aber nur mit der Bratsche kann ich diesen melancholischen Ton erzeugen, wie er aus Miles Davis Trompete klingt“, erzählt Mike. Der in Unterhaching aufgewachsene Besitzer eines US-amerikanischen Passes kam nach Hamburg, weil es an der Hochschule einen - inzwischen renommierten - Jazz-Studiengang gibt.

An der Hochschule lernte er auch die Violonistin Nicola Kruse kennen, mit der er vor drei Jahren das Ensemble String Thing gründete. Die Musik, die das Streichquartett komponiert, hat mit „gesitteter“ kammermusikalischer Ordnung wenig gemeinsam. Das Ergebnis klingt frech, witzig und gefühlvoll. Wenn die Kompositionen auch manchmal Spuren von Free-Jazz-Abstraktionen aufweisen, bewegen sie sich jenseits traditioneller Stilgrenzen, irgendwo zwischen U-, E-, Pop- und Rockmusik.

Die musikalischen Abenteuer des Kronos Quartett deuten vielleicht die Richtung der String Thing an. Die Musik der vier jungen Leute klingt jedoch luftiger und unbeschwerter. Sie ist so vielfältig wie die Einflüsse der Musiker. Mikes Vorbilder sind Miles Davis und Astor Piazolla. Nicola Kruse hat Workshops bei Anthony Braxton und John Tchicai besucht.

Der Cellist Hagen Kuhr und Frank Skriptschinski (Kontrabaß) haben eher eine „klassische Jazz Ausbildung“. Das Musizieren ist allerdings nicht die einzige Beschäftigung der Musiker, deren Wunsch es ist, von ihrer Musik zu leben. „Wir treffen uns, um zu üben und verbringen dann doch viel Zeit damit, organisatorische Dinge zu erledigen“, sagt Mike. Im vergangenen Jahr mußten vierzig Konzerte organisiert werden, die das Quartett in Clubs und Kulturzentren der Republik führten. „Es ist schon streßig“, meint Mike, „nicht jede/r von uns kommt damit klar“. Deswegen fehlen auch Auseinandersetzungen nicht. „Dadurch lernen wir uns aber besser kennen“, ergänzt Mike. Das Ensemble hat aber viel mehr Gelegenheiten sich kennenzulernen: „Wir fahren nur mit dem Zug. Da können wir aus dem Fenster sehen, ein Buch lesen, diskutieren oder auch komponieren.“ Es gibt aber einen weiteren Vorteil des Zugfahrens. Der sperrige Kontrabaß-Koffer paßt wie angegossen auf die Gepäckablage der Bundesbahn. Im Auto wäre es erheblich komplizierter. Alexander Cowell

Heute, Birdland, 21 Uhr, morgen, Kunststück, 21 Uhr