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Strategie der Spannung

■ Berlin vor dem IWF-Kongreß

Berlin ist für den IWF-Kongress gerüstet - und das ist wörtlich zu verstehen. Es ging in den letzten Wochen nicht um die Befriedigung des bekannten Schutzbedürfnisses von Bankern und Politkern aus aller Welt, es ging um die Erzeugung eines Klimas: permamente Polizeipräsenz, eine liberale Presse, die angesichts der angekündigten Absicht, die Banker auf dem Weg zum Kongress zu begleiten, kommentiert: „Sand ins Getriebe streuen ist Gewalt!“, ein Senat, der die „Kongressfähigeit“ Berlins zur Überlebensfrage der Stadt deklariert. All das meldet: Ausnahmezustand. Ein Brandanschlag auf Siemens-Firmenwagen, eine vermißte Polizeipistole. Schrotkugeln auf den Dienstmercedes eines Staatssekretärs, obskure Bekennerbriefe, all das paßt ins Bild.

Berlin ist also schlecht ausgestattet als Ort der in den nächsten Tagen anstehenden historischen politischen Konfrontation. Zum ersten Mal in der Geschichte von Weltbank und IWF - den globalen Agenturen des kapitalisitischen Wirtschaftsmodells - werden die Verantwortlichen massiv, differenziert und in breitester Öffentlichkeit auch „zu Hause“ angegriffen. Zwei Entwicklungen steuern zur besonderen Brisanz dieser Situation bei: Zum einen die Verbindung von Betroffenen, den Opfern der Verschuldungsstrategien, mit Gegenexperten aus den Ländern, die daraus ihren Nutzen ziehen. Zum anderen wächst der Anspruch vieler Bürger aus Ländern der „Ersten Welt“, auf die Außenpolitik direkt Einfluß zu nehmen. Nach der Rüstungspolitik wird auch die Außenwirtschaft zum Thema. Das ist aber ein Angriff auf bestehende Machtpositionen - ein politischer Vorgang, kein militärischer. Das ist die Folgewirkung einer täglichen Medienflut aus aller Welt. Das ist Informationsgesellschaft und das stellt die Neuverteilung von Kompetenzen zwischen Staat und Gesellschaft auf die Tagesordnung.

Das macht an Grenzen (???) der alten Nationalstaaten nicht halt. Wir können jeden Abend im Fernsehen sehen, daß die Eliten in „Dritter“ und „Erster“ Welt wunderbar miteinander Politik machen - genau das soll uns anläßlich der Jahrestagung in Berlin vorgeführt werden. Diese hohe Diplomatie hat aber bisher an den katastrophalen Zuspitzungen von Elend in der Welt kaum etwas geändert. Im Gegenteil: Die Bilanz dieser Politik ist negativ. IWF und Weltbank-Sprecher haben bereits erklärt, in Berlin seien keine historischen Beschlüsse zu erwarten. Es sind die Präsidentschaftswahlen in den USA, die wichtige Entscheidungen hier und jetzt blockieren. Damit ist klar: Weltbank und IWF haben nichts zur Entspannung der Situation zu bieten.

Die Berliner Linke hat Erfahrungen mit einer solchen Konstellation - ausschließlich schlechte. Immer wenn es in den letzen 20 Jahren darum ging, im Schaufenster der Freien Welt die Menschenrechte zu verteidigen, mußten wir gewärtig sein, daß unsere eigenen Bürgerrechte außer Kraft gesetzt werden. Bisher war weder die Linke noch die liberale Öffentlichkeit in Berlin im Stande, dies zu verhindern. Wenn wir nicht, wie die Generation unserer Eltern, vom Klima der Repression gelähmt werden wollen, müssen alle Kritiker von IWF und Weltbank ihr Recht auf Protest ausüben. In der Mediengesellschaft garantiert Öffentlichkeit Schutz. Zu Beginn der Blokkade, während eines Höhepunktes des Kalten Krieges rief Berlins damaliger Bürgermeister Ernst Reuter: „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!“ Diesen Blick brauchen wir heute auch.

Georgia Tornow

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