piwik no script img

Straßentheaterfestival in BremenGlücklich, heiter und gelöst

Einmal im Jahr kann Bremen sich von sich selbst beurlauben und so tun, als verzehre es sich in Sehnsucht nach einem Bohémien-Dasein.

Beim Straßenkunstfestival La Strada zeigt sich Bremen von seiner besten Seite Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

A rtistische Veranstaltungen sind oft so flüchtig-schön, dass die Sprache nicht hinterherkommt. Texte über sie werden zu Floskelsammelplätzen und Klischeehalden. Die Zeitungsberichte über das 31. Festival für Straßenkünste, La Strada, in Bremen belegen das gut. Um zu sagen, wie toll es ist – denn toll ist es! –, werden die Artikel zuverlässig gedopt mit Vokabeln aus dem sinnlosen Feld des Übersinnlichen, dem kurioserweise zugleich ein Aspekt der Routinemäßigkeit beigemischt wird.

Dementsprechend hat das Festival nach den übereinstimmenden Headlines die Bremer Innenstadt „wieder verzaubert“. Nach einem zuverlässig schwer lesbaren Plan haben die gut 150 Performances das Publikum „in ihren Bann gezogen“, es in „eine Welt der Fantasie“ „magisch entführt“, wofür die City zwischen Ziegenmarkt und Böttcherstraße „in eine Bühne verwandelt“ wurde, heißt: Es gab 14 temporäre Spielorte, manche nur durch Klebeband markiert.

Aber es stimmt ja: Die gute alte Tante Sprache knausert mit Worten, die verständlich machen könnten, warum das, was da auf- oder vorgeführt wird, so scheinbar mühelos und unwiderstehlich die Aufmerksamkeit auf sich zieht und dabei mitten in der beschissensten Weltlage so glücklich stimmt und heiter und gelöst.

Da ist zum Beispiel diese Jong­lage. Die erfüllt zwar später auch die Überbietungserwartungen der Disziplin. Aber am beeindruckendsten ist sie, solange sie mit nur einer tennisballgroßen weißen Kugel auskommt, was sich ja total albern anhört, Jonglage mit einem Ball. Aber eben: Der Artist jongliert sozusagen um ihn herum, bewegt seine Hand, seinen Arm, seinen Rumpf in einem Tempo, dass es scheint, als stehe die Kugel naturgesetzwidrig in der Luft oder umkreise wie ein verirrter Miniaturplanet seinen Körper.

Der wird zugleich roh von einer Tänzerin, die mal italienische Meisterin in Rhythmischer Sportgymnastik war, bedrängt, schützt sich vor ihr, weicht aus. Das erzählt etwas, ohne festzulegen, was: Wenn man mag, entspinnt sich im Kopf die Geschichte von dem Mann, der Frau und den weißen Kugeln. Wenn nicht, nicht.

Der Blick eines wildfremden Menschen

Es gibt auch klassische Momente kollektiver Verblüffung, etwa am ersten Abend neben der Kunsthalle, bei der großen Eröffnungsshow, die auch das erste Werk eines sechsköpfigen Ensembles ist. Irgendwann hat die Trapezistin sich hochgeturnt, von den anderen gestützt, gehoben, geworfen, das ganze Stück handelt von Gemeinschaft. Aber jetzt, in schwindelnder Höhe, kommt eben ihr Solo. Und als sie sich aus ihrer Schaukel in die Luft katapultiert, überschlagen und kurz vorm Sturz die Querstange dann doch sicher ergriffen hat: Da sitzt du auf dem Boden, schaust dich leicht hilflos um, triffst auf den Blick eines wildfremden Menschen. Den wirst du vielleicht nie kennenlernen wollen, aber jetzt seid ihr doch gemeinsam in tiefem Einverständnis erleichtert, das haben euch eure Augen gesagt, und ihr lächelt, beide, und beginnt, etwas zögerlich am Anfang noch, zu klatschen.

„Die Menschen sind auf La Strada einfach freundlich“, hat eine Freundin festgestellt: Bremen beurlaubt sich mit diesem Festival jedes Jahr kurz vom hanseatischen Habitus, als verzehre es sich in Wirklichkeit vor Sehnsucht nach einem Bohèmien-Dasein.

Dessen nicht so kunstfertige Erscheinungsformen – Clochards etc. – will die rot-grün-rot regierte Stadt zwar per Antibettel-Satzung aus dem öffentlichen, im schnöden Alltag brutal durchgastronormierten Raum drängen. Die romantische Seite lässt sich aber bestens weiterhin auf die Straßentheaterszene projizieren, auch wenn sich diese professionalisiert hat, Hochschulststudium in Frankreich, Belgien oder den Niederlanden inklusive.

Das würde auch die Begeisterungsfähigkeit erklären, die den Leuten hier sonst nicht so zugetraut wird: Mehrere Künst­le­r*in­nen wirken beim Schlussstatement regelrecht gerührt, weil der Beifall so enthemmt klingt, auch bei 34 Grad im Schatten noch. Sie werden so richtig gefeiert, wie die echten Helden eines lange verheimlichten Traums.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Reporter und Redakteur
Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!