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Straßenbahn in BerlinAusgerumpelt

In Friedrichshain wurde eine Tramlinie gekappt, weil bei der Neuplanung alles schiefgelaufen ist. Aber der Ausbau des Straßenbahnnetzes lahmt ohnehin.

Gelb und effizient: die Berliner Tram, hier an der Warschauer Brücke Foto: Marius Schwarz/imago

Aus Berlin

Claudius Prößer

Wenn eine Tram der M13 auf der Friedrichshainer Holteistraße die Boxhagener Straße quert, muss sie besonders langsam fahren, trotzdem rumpelt es laut. Denn die Schienen der Tramlinie 21, die hier kreuzt, sind wackelig und abgenutzt – und seit Ende vergangener Woche stillgelegt. „40 Jahre lang durchgängig in Betrieb“ seien die Gleisanlagen der Linie 21 gewesen, informiert die BVG – von hier bis zur Marktstraße hinter der Ringbahn, ein Abschnitt von einem guten Kilometer. Immer wieder habe man Schadstellen geflickt, aber nun seien „alle Möglichkeiten der laufenden Instandhaltung ausgeschöpft“.

Für die Fahrgäste der Linie, die vom Bersarinplatz durch den Friedrichshainer Südkiez und über Karlshorst bis Schöneweide führt, ist das eine ärgerliche Unterbrechung. Sie müssen jetzt in Busse der Linie 240 umsteigen, die ebenfalls auf der Boxhagener Straße unterwegs sind. Noch viel ärgerlicher: Wann sie wieder durchgehend mit der Straßenbahn fahren können, steht in den Sternen. Es wird auf jeden Fall Jahre dauern.

Denn an dieser Stelle ist im Grunde schiefgelaufen, was schieflaufen konnte. Die Schienen sind deshalb so marode, weil die Tram hier eigentlich längst nicht mehr fahren sollte: Seit vielen Jahren ist vorgesehen, sie zwei Schlenker machen zu lassen und über die südlich verlaufende Sonntagstraße direkt an den Bahnhof Ostkreuz heranzuführen. Der ist mit der Tram bisher miserabel angebunden.

Aber das Vorhaben ist bei den AnwohnerInnen hoch umstritten, und beim Genehmigungsverfahren wurde von der Verwaltung wiederholt gepfuscht. Darum hat sich seit Beginn des Planfeststellungsverfahren 2017 im Grunde nichts bewegt. Gleichzeitig ging der Zustand der Altgleise den Bach hinunter. Die aber wollte und will die BVG nicht grundlegend erneuern, sprich: austauschen, weil sie ja theoretisch künftig nicht mehr gebraucht werden.

Widerstand der Anwohnenden

2018 waren die Planungsunterlagen erstmals im Rahmen der vorgeschriebenen Öffentlichkeitsbeteiligung ausgelegt worden, damals gab es fast 1.000 Einwendungen. Im Gegensatz zu anderen Straßenbahnplanungen ist der Widerstand der Anwohnenden hier groß, denn die Sonntagstraße ist vergleichsweise schmal. Bäume müssten gefällt werden, Parkplätze würden wegfallen, man fürchtet das Quietschen der abbiegenden Trams. Ein Fehler beim Lärmschutzgutachten war es dann auch, der eine erneute Auslegung 2021 notwendig machte.

Dummerweise stellte sich später heraus, dass es einen Formfehler gegeben hatte. 2024 gab es also eine dritte und kurz darauf sogar noch eine vierte Auslegung.

Geht es also jetzt endlich voran? Offenbar nicht: Beim BVG-Sprechtag des Fahrgastverbands IGEB im Oktober ließ die Senatsverkehrsverwaltung durchblicken, dass sie eine fünfte Auslegung erwägt. Dabei geht es offenbar vor allem um Umplanungen zugunsten der Feuerwehr. Die glaubt, dass sie bei Rettungsarbeiten in der Sonntagstraße mit den Stromleitungen der Tram ins Gehege kommen würde.

Für IGEB-Sprecher Christian Linow ist das alles kaum zu fassen: „Das ganze Projekt wurde sehenden Auges an die Wand gefahren“, sagt er der taz, „und jetzt ist der Flurschaden groß.“ Das Argument der Feuerwehr hält er für weit hergeholt, auch weil er sich informiert hat, wie andere Verkehrsunternehmen das Problem lösen. Die Düsseldorfer Rheinbahn teilte ihm mit, dass im Notfall die Technische Schaltwarte den Strom einfach abschalte, zusätzlich habe man die Feuerwehr mit Spannungsprüfern und „Erdungsstangen“ ausgestattet.

Eine Straßenbahn kann von der Kapazität bis zu drei Gelenkbusse ersetzen, was knappes Fahrpersonal und Kosten sparen kann

Tilo Schütz, BUND

Warum sollte das in Berlin nicht möglich sein? „Wir stehen hier langsam im Verdacht, für jede Lösung das passende Problem zu finden“, ätzt Linow. Dass die BVG jetzt ihre KundInnen auf unbestimmte Zeit in Busse umsteigen lässt, geht für ihn gar nicht: „Wenn ich in der Pflicht stehe, die bestellte Leistung zu fahren, und dann feststelle, dass ich mit meiner Planung nicht fertig werde, muss ich tatsächlich über eine Notinstandsetzung nachdenken. Wir erwarten ja keine goldenen Gleise.“

Selbst wenn die Trams auf der Boxhagener Straße nur noch mit 10 Stundenkilometern führen, wäre das für den IGEB-Sprecher der jetzigen Lösung vorziehen. „Besser schlecht gefahren als gut gelaufen“ oder mehrfach umgestiegen, findet Linow. Die BVG verspricht zumindest, dass die Lücke nicht ganz so groß wie befürchtet werde – dank einer „Zwischenendstelle“ auf Höhe der Krossener Straße.

Der Senat mag keine Straßenbahnen

Die verkorkste Situation in Friedrichshain mag den örtlichen Besonderheiten und schlampiger Planung geschuldet sein, aber die Straßenbahn hat unter Schwarz-Rot auch sonst einen schweren Stand. Zumindest was den Ausbau des Netzes im Westteil der Stadt angeht, der ja eigentlich politisch gewollt ist – oder muss man mittlerweile sagen: gewollt war?

Im Rahmen der laufenden Haushaltsverhandlungen hat die Opposition abgefragt, wie es um die laufenden Tramplanungen steht. Das Ergebnis: Manches tröpfelt vor sich hin, andere Vorhaben wurden auf Eis gelegt oder komplett gestrichen.

Am weitesten fortgeschritten ist der Ausbau der Straßenbahn in Mahlow: Hier befindet man sich immerhin schon in der sogenannten Genehmigungsplanung, „aktuell angestrebt“ wird die Inbetriebnahme in den Jahren 2028 oder 2029. Projekte wie die Verlängerung der M10 von der Moabiter Turmstraße bis zum S- und U-Bahnhof Jungfernheide und – am entgegengesetzten Ende – zum Hermannplatz stecken noch in früheren Planungsphasen. Vor 2031 oder 2032 wird hier ganz sicher nichts rollen.

Die Strecke Schöneweide–Potsdamer Platz steckt sogar noch in der allerersten Phase, der sogenannten Grundlagenermittlung. Die wird laut Senat noch in diesem Jahr „voraussichtlich“ abgeschlossen, angepeilt wird eine Inbetriebnahme im Jahr 2035. Dagegen habe man die Strecken vom Alexanderplatz über die Leipziger Straße zum Kulturforum und von Johannisthal in die Neuköllner Gropiusstadt „qualifiziert beendet“, weil dafür keine ausreichenden Mittel vorhanden seien.

„Qualifiziert beendet“ kann bestenfalls bedeuten, dass ein Projekt wiederaufgenommen wird, wenn bessere Tage kommen – schlechtestenfalls ist es damit für alle Zeiten beerdigt. Der Tramstrecke vom Potsdamer Platz nach Steglitz, die an die Strecke Alexanderplatz–Kulturforum anschließen sollte, droht dieses Schicksal nicht: Ihre Planung wurde noch nicht einmal begonnen. Derweil hat die Verkehrsverwaltung die Idee einer Anbindung Spandaus mit der Straßenbahn – die von der dort regierenden CDU abgelehnt wird – in ihrem Bericht an den Mobilitätsausschuss einfach kommentarlos durchgestrichen.

Berlin hinkt hinterher

Für Oda Hassepaß, verkehrspolitische Sprecherin der Grünenfraktion, ist das ein Fiasko: „Andere Städte setzen konsequent auf die Straßenbahn und bauen viele neue Schienenstrecken, in Berlin blockiert die CDU alles, was keinen Auspuff hat, und hängt damit die Menschen ab“, findet sie. Dabei sei die Tram im Hinblick auf Transportkapazität und Kosten „eine der effizientesten Mobilitätsformen im städtischen Raum“.

Besonders ältere Menschen und Kinder schätzten die überirdische Führung und die – im Vergleich zur U-Bahn – vielen Haltestellen. Nicht von ungefähr bestätigten die Gutachten zu den Neubauprojekten, die die Senatsverwaltung selbst in Auftrag gegeben habe, die Tram als „Vorzugsverkehrsmittel“.

Der Berliner Bund für Umwelt und Naturschutz schlägt in dieselbe Kerbe: „Eine Straßenbahn kann von der Kapazität bis zu drei Gelenkbusse ersetzen, was knappes Fahrpersonal und Kosten sparen kann“, so BUND-Verkehrsexperte Tilo Schütz. Die in den zuletzt eröffneten neuen Strecken zum Hauptbahnhof und weiter zur Turmstraße sorgten für erhebliche Fahrgastzuwächse und reduzierten den Autoverkehr. Für Schütz steht fest: Mit dem Verkümmernlassen des Ausbaus entfernt sich Berlin „immer weiter von den dringlichen Zielen bei der Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Verkehrsbereich“.

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1 Kommentar

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  • „Besser schlecht gefahren als gut gelaufen“ Vor allem im Winter, wo bekanntermaßen viele sommerlichen Läufer und Radfahrer auf die Öffentlichen umsteigen.

    „die Idee einer Anbindung Spandaus mit der Straßenbahn – die von der dort regierenden CDU abgelehnt wird – in ihrem Bericht an den Mobilitätsausschuss einfach kommentarlos durchgestrichen.“



    Und besonders in diesem Bezirk, in Ermangelung anderer Öffentlicher, wäre die Tram dringend zu gebrauchen. Da auch in meist engen Straßen, besonders beim Feierabend Stau (auch durch Speckis) die lediglich hochfrequentierten Buslinien regelmäßig stecken bleiben.

    „Andere Städte setzen konsequent auf die Straßenbahn und bauen viele neue Schienenstrecken, in Berlin blockiert die CDU alles, was keinen Auspuff hat, und hängt damit die Menschen ab“ Vernünftige Mobilität nicht gewährleisten und voranbringen können aber von Olympia phantasieren…