: Strandsand in der Badehose
■ Killing Joke, Straw Dogs und Asexuals
Jaz Coleman von Killing Joke (Foto: Roland Owsnitzki)
Das haben sie nun wirklich nicht wissen können — ganz damals, 1979, als sie anfingen, als sie die Übermegadüstertotversion der harten Popmusik ins Leben riefen. Woher sollten sie wissen, daß alles, was sie acht LPs udn elf Jahre später machen würden, schon in jeder auch nur erdenklichen Art und Weise überholt, übergrinded, übergoared sein würde. Und doch möchte man ihnen eine gewisse wehmütige Anerkennung zukommen lassen — die ersten fünf Longplayer hatten wirklich etwas einzigartig Athmosphärisches. Die laute, ungehobelte Düsterkeit der 80er, das Sich-nicht-unterkriegen-lassen-wollen, die Dekadenz des Sich-durchprügelns. Und dazu fließend-gebrochenes Gitarrenwerk, heiser-erstickt-wütender Gesang, Abgehmusik im Zeitalter des Weltuntergangs. Trotz aller Sperrigkeit brachten sie es bis in die Charts mit solchen Friedhofs- Hymnen wie »Eighties« und »Love Like Blood«, wußten ihre Depression in fulminante Aggression zu verwandeln und Heerscharen von Fans in Rage zu versetzen: Cemetery meets überschäumende Wut meets Destruction meets Hardcorepoppunk...
Erstaunlicher- und selbstbewußterweise kanem sie denn anno 88 doch nicht daran vorbei, den bei ihren Gläubigen vorhandenen Überdruß auch innerhalb der Kapelle zu realisieren. Zwei Jahre Pause, psychiatrische Behandlung, Labelwechsel waren die — zumindest für die neue LP »Extremities, Dirt and Various Repressed Emotions« zuträglichen — Folgen. Nach einem mit New-Age- Erfahrungen überfrachteten Grönland-Aufenthalt des Sängers und treibenden Motors Jaz Coleman, nach der Gründung des Invisible-Labels und der Arbeit am orchestralen Zyklus »Idavoll«, der ihn zu seinen klassischen Wurzeln zurückführte, legen er und seine Kumpanen Paul Raven, Martin Atkins und Geordie nun erneut los. Sie scheinen etwas gelernt zu haben seit diesen Zeiten des grauen Einheistgegrummels, das sie mit ihren letzten beiden Veröffentlichungen dahingeschleudert hatten: Sie fassen das ganze letzte Jahrzehnt mit all seinen Ängsten, Träumen und Enttäuschungen in ihrer aktuellen Doppel-LP zusammen und schaffen so ein Panoktikum des Wahnsinns, verliren sich diesmal nicht in eigenbrödlerischem Weltschmerz-Gejammere, sondern scheinen ihren alten Sinn für pechschwarze, kraftvoll-treibende Obsessionen wiedergefunden zu haben. Mit dieser LP und unter Rückbesinnung auf ihre Anfänge dürfte der Abend im Loft nahezu erquicklich finster werden.
Amihochgeschwindigkeitsmetalhardcore mit ellenlangen hiddeldihiddeldi-Gitarrensoli der aufdringlicheren 70er-Manie geben sie Straw Dogs im K.O.B. zum Besten. Die Welt ist schlecht und gemein und ich geb' ihr das tausendfach zurück, schlage um mich und alles zu Brei, hebe mein pathetisch erschüttertes Organ und walze alles und jeden nieder, der mir dabei in die Quere kommt. Tobenderweise verbraucht man sich und literweise Frischluft, und was am Ende bleibt, sind der satte Schluck Whiskey für die rauhe Seelenkehle und ein vernichtender Blick aus den schicksalsgestählten Augen. Applaus, Abgang nach rechts.
Abgelöst werden sie von den Asexuals, die sich vor drei Wochen schon einmal im EX die Ehre gaben, und die für den leichtfüßigeren Teil des Abends sorgen werden. Zwar finden sich ihre Ursprünge auch in den abgrundtiefsten Niederungen des Montrealer Punks, doch haben sie sich in der Zwischenzeit mit ihrer dritten LP »Dish« in die Gefilde der Sonnenschein-Popmusik manövriert, mit schmetternden Bläsersätzen so fröhlich wie ein Campari-Orange am frühen Morgen, Gitarrenklängen wie mildes Meeresrauschen im wohlfeil kolorierten Hintergrund. Sparsam inszenierte Krachattacken der Rhythmusgruppe (irgendwie muß man seiner Tradition ja treu bleiben) fügen sich fließend ein, gehören zum Szenario wie knirschender Strandsand in der nassen Badehose. Noch haben sie ihre Hardcore-Wurzeln nicht gänzlich eliminiert, sorgen Akkordfolge, Gitarrensoli und kratzig-rauchiger Gesang in diesem recht braven Mainstreampoppourrie für leider viel zu seltene Spannungsmomente. Vielleicht lassen sie sich ja — angestiftet von den Straw Dogs — zu ein paar wenigen erfrischend peinlichen Ausfällen hinreißen. Erika
Killing Joke ab 20.30 Uhr im Loft
Straw Dogs und Asexuals ab 22 Uhr im K.O.B.
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