Strahlenbelastung nach Fukushima: "Im besten Fall ist es Inkompetenz"
Wie hoch ist die Strahlung in Japan nach Fukushima? Welchen Daten kann man trauen? Ein Gespräch mit einem Kartendesigner über schlechte Grafiken und unsinnige Mittelwerte.
taz: Worin unterscheiden sich Ihre Strahlenkarten von offiziellen Darstellungen?
Andreas Schneider: Es gibt inzwischen sehr viele Daten. Leider in den unterschiedlichsten Formaten, aus unterschiedlichsten Quellen, und keinen Standard zur Umsetzung. Wir bringen alle Daten auf ein gemeinsames Format und benutzen eine durchgängige Farbskala, um die Werte vergleichbar zu halten. Wir stellen die Werte in Listen, auf 2-D-Karten und interaktiv räumlich dar. Erst so wird das Ausmaß der Strahlung verständlich.
Was sind Ihre Quellen für die Strahlenwerte?
Wir nehmen nur offizielle Daten, auch wenn wir es nicht richtig finden, dass ein wesentlicher Teil immer noch vom Verursacher Tepco stammt. Diese ziehen wir mit einer eigenen Software aus dem Internet. Wir aktualisieren stündlich 430 Stationen aus 23 Quellen.
Was ist denn mit Daten von Freiwilligen-Initiativen wie Safecast?
Das finden wir sehr positiv. Leider ist es bei diesen Crowd-Sourcing-Initiativen nicht einfach, die Konsistenz der Daten - wer hat wie wo gemessen, wie sind die Geräte kalibriert – zu sichern. Daten aus unterschiedlichen Zeiträumen werden gemischt angezeigt, Aktualisierung ist nicht gewährleistet. Schade, dass es nicht besser ist.
Der Informationsdesigner Andreas Schneider lebt seit 1991 in Japan und unterrichtet an der Universität Waseda in Tokio. Am Tokioter "Institute for Information Design Japan" ist er verantwortlich für Design-Strategien.
Wie ist die Strahlung in Fukushima heute?
In den Medien zeigt keine einzige Karte den aktuellen Wert am Reaktor in Fukushima. Tepco veröffentlicht Messungen, aber versteckt sie in einem File, das nicht automatisiert ausgelesen werden kann. Das müssen wir täglich von Hand eingeben. Unglaublich! Am Südtor haben wir immer noch 280 Mikro-Sievert pro Stunde - das ist mehr als das 3000-fache des Normalwerts.
Acht Prozent der Landfläche von Japan sind laut Wissenschaftsministerium mit mehr als 10.000 Becquerel Cäsium kontaminiert. In Fukushima und sieben weiteren Präfekturen erreicht die jährliche zusätzliche Strahlendosis mindestens 1 Millisievert. Grundsätzlich gilt eine Einzeldosis von 6.000 Millisievert als tödlich. Trotz dieser Zahlen fehlen bisher brauchbare Strahlenkarten für die Bevölkerung.
Was ist mit dem dichten Netzwerk, das die Regierung aufgebaut hat?
Ich glaube, das sind erst noch Pläne. Im Juli und August wurden sehr detailierte Messungen in der Provinz Fukushima vorgenommen. Ähnliche Daten werden schrittweise in allen Provinzen erhoben. Die Messdaten aus Fukushima wurden uns zur Verfügung gestellt, alle Folgedaten nicht mehr. Das sei technisch schwierig, hören wir vom Ministerium.
Was halten Sie von den offiziellen Strahlenkarten?
Sie sind leider sehr chaotisch. Hohe Werte etwa werden in den Farben Gelb und Grün angezeigt, die man emotional als harmlos wahrnimmt. Es gibt keine kontinuierliche Skalierung der Farbwerte. Manche Karten zeigen einen Mittelwert für jede Präfektur. Das ist Unsinn.
Haben Sie für diese Methoden eine Erklärung?
Im besten Fall ist es Inkompetenz. Alle sind besorgt, was zu tun ist, nicht nur im engeren Bereich um Fukushima, die Eltern, die Kindergärten und Schulen. Da finden wir diese Art der Kommunikation fahrlässig.
Wie lässt sich Ihr eigenes Angebot noch verbessern?
Wir würden gerne detailierte personalisierte Dienste anbieten, also Informationen für den täglichen Gebrauch, etwa für Kindergärten und Schulen. Die Leute haben Angst und wenn man ihnen die nehmen könnte, wäre schon viel geholfen.
Andreas Schneider war anlässlich der "Berliner Gazette"-Konferenz "Learning from Fukushima" in Berlin
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