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„Stoppt Zwangsheirat“

betr.: „Heute bin ich meinem Vater sehr dankbar“ (Beitrag einer Teilnehmerin des Schreibwettbewerbs vom Zentralrat der Muslime), intertaz vom 2. 12. 02

Die Teilnehmerin beschreibt in ihrem Aufsatz, wie sie als junge Frau verheiratet wurde. […]

Als Mitarbeiterin der Frauenrechtsorganisation Terre des femmes war ich schockiert, diesen Beitrag ohne jeden Kommentar in der taz abgedruckt zu sehen. Grundsätzlich begrüßt Terre des femmes Berichte, in denen eine Debatte über das Leben von Musliminnen in Deutschland entfacht wird. Gerade wir sind der Meinung, dass nur durch größere Transparenz, auch in den Medien, den Vorurteilen begegnet werden kann, die in Deutschland im Umgang mit Immigrantinnen leider immer noch bestehen. Aber dieser Bericht entspricht nicht der Realität und nicht der alltäglichen Erfahrung von Frauen, die nicht selbst die Partnerwahl treffen können. Er erweckt den Eindruck, dass keineswegs die Grundbedürfnisse einer jungen Frau übergangen werden, wenn ein Vater für seine Tochter mit dem Argument, es nicht anders zu kennen, einen Ehemann aussucht und auch die Berufswahl des jungen Mädchens bestimmt. Ich bezweifle nicht, dass es Frauen gibt, die das Glück haben, mit dem so gewählten Ehemann zu harmonieren. Das ist aber keinesfalls die Regel!

Allein in Deutschland werden jährlich zirka 30.000 Fälle von Zwangsheirat angenommen, häufig aus dem muslimischen Kulturkreis, bei denen die Frauen sich in einer ausweglosen Situation befinden. Denn fest eingebunden in ihr familiäres Umfeld, sehen sie oft keine Möglichkeit, dieser Situation zu entkommen. Sie nehmen etwas hin, das sie, die in Deutschland aufgewachsen sind, längst nicht mehr wollen und das auch der deutschen Rechtsordnung entgegensteht, das im Grundgesetz allen Frauen das Recht zusichert, ihren Ehemann frei zu wählen.

Nur sehr mutigen jungen Frauen gelingt es, sich aus der Lage, zwangsverheiratet zu werden, zu befreien. Dann können sie zum Beispiel in einer Kriseneinrichtung Hilfe finden. In Deutschland gibt es vier anonyme Krisenreinrichtungen für Immigrantinnen. Die diesjährige Kampagne von Terre des femmes lautet: „Stoppt Zwangsheirat“. […] Es wäre sinnvoll gewesen, Ihren Bericht mit einem Hinweis auf die TDF-Kampagne zu ergänzen, damit Frauen, die mit dieser Form von Ehe nicht einverstanden sind, unsere Arbeit kennen lernen können und gleichzeitig eine Anlaufstelle haben. […] COLLIN SCHUBERT, Tübingen

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