Stoiber-Nachfolge: Ein langer Abschied
Der nominierte bayerische Ministerpräsident Beckstein übernimmt von Edmund Stoiber ein stattliches Land - inklusive einer wirren CSU.
Man muss kein Anhänger von Edmund Stoiber sein, um ihm schönere Abschiedsstunden im Münchner Landtag zu wünschen. Da steht er nun mit einem Bündel grüner Blätter, auf die seine Fare-Well-Regierungserklärung gedruckt ist, am Rednerpult, im dunklen Anzug mit rot-weiß gestreifter Krawatte. Schon die Farbwahl passt nicht: Weiß-blau hätte ihm seine Frau Karin bereitlegen sollen, die bayerischen Landesfarben. Rot-weiß wirkt wie ein Gruß an die Franken, deren Emblem das ist. Aber die Franken - allen voran sein designierter Nachfolger Günther Beckstein - verdienen keinen Stoiber-Gruß, denn sie haben ihn gestürzt.
Die CSU-Fraktion im bayerischen Landtag hat Innenminister Günther Beckstein als künftigen bayerischen Ministerpräsidenten nominiert. 119 der 122 Abgeordneten stimmten gestern für Beckstein. Er soll am 9. Oktober im Landtag zum Nachfolger des scheidenden Amtsinhabers Edmund Stoiber gewählt werden. Vorgeschlagen wurde Beckstein von CSU-Fraktionschef Joachim Herrmann. Damit ist das Ende der 14-jährigen Ära Stoiber in greifbare Nähe gerückt. Stoiber wird seine Spitzenämter als CSU-Chef und Ministerpräsident Ende September niederlegen.
Die CSU-Abgeordneten gaben ihr Votum für Beckstein im Anschluss an die letzte Plenardebatte vor der Sommerpause in geheimer Abstimmung ab. Der 63 Jahre alte Franke wird damit im dritten Versuch Regierungschef des Freistaats. Beckstein hatte bereits zwei Mal gute Aussichten auf das Amt des Regierungschefs. Im Jahr 2002 gelang dies nicht, weil der damalige Kanzlerkandidat Stoiber die Bundestagswahl verlor. Der zweite Versuch missglückte 2005, weil Stoiber entgegen seinen ursprünglichen Plänen doch nicht in die Bundesregierung wechselte.
Stoiber sicherte Beckstein seine Unterstützung zu. "Du kannst auf mich zählen", sagte er nach Angaben von Sitzungsteilnehmern zu Beckstein. (dpa)
Die Langeweile während der endlosen Aufzählung von Stoiber-Verdiensten durch Stoiber ist zu greifen, auch auf den CSU-Bänken. Günther Beckstein und sein Verbündeter, der Niederbayer Erwin Huber, der Stoibers Nachfolger als Parteivorsitzender werden will, sind erst während der Rede gekommen - auch nicht die feine Art. Aber Stoiber hat die beiden in den vergangenen Monaten ein ums andere Mal düpiert.
Unaufhörlich rattert die Stoiber-Bilanz dahin. Wenn der Bauer einem Hahn für den Suppentopf den Kopf abschlägt und ihn nicht richtig festhält, kann es passieren, dass das geköpfte Tier noch eine Runde im Hof dreht. So ähnlich geht es dem bayerischen Ministerpräsidenten. Die Seinen haben ihn längst einen Kopf kürzer gemacht, doch seine letzten Energien verwendet Edmund Stoiber darauf, durch die Zukunft der Landespolitik zu hecheln, in der er nicht mehr vorkommt.
Wenn ihm sein Büchsenspanner Martin Neumayer wenigstens ein paar Anekdoten aufgeschrieben hätten: Wie er zum Beispiel Franz Josef Strauß dazu nötigte, wenigstens ein paar Akten abzuzeichnen - indem er sich nämlich in den Fond von Straußens Dienstlimousine setzte und ihm die Papiere so lange hinhielt, bis der seinen Servus drunter machte. Oder etwas Versöhnliches für seine zahlreichen Opfer: Für Theo Waigel, Barbara Stamm, Alfred Sauter, und das sind beileibe nicht alle. Oder wie er seinen Freund, den Juzstizminister Alfred Sauter - Sie, des war fei lustig ! - am Handy aus dem Kabinett hinausgeschmissen hat.
Sarkastisch könnte er sein und sagen, dass er sich heute ans Hirn greife, warum er im Sommer 2005 im Schattenkabinett von Angela Merkel nicht das Finanzressort übernommen hat. Da hatte Stoiber Schiss. Aber heute wäre er der Bundes-Kini, der zunächst Bayern saniert, dann die Mehrwertsteuer durchgesetzt und jetzt die herrlichsten Steuereinnahmen hätte. Da sehen Sie, könnte er sagen, wie schmal der Grat zwischen maximalem Erfolg und jähem Absturz ist.
Reflexion, Selbstkritik, Spass: das war nie Stoibers Sache. Er punktete immer mit dem, was ihm gegeben war: Fleiß, Durchsetzungsvermögen, Disziplin, Themensicherheit waren seine Stärken, und niemand wird sagen, dass sie in den 14 Jahren seiner Herrschaft Bayern nicht zu gute kamen. Der CSU-Erbhof mit der weiß-blauen Lüftlmalerei steht stattlich da, der Misthaufen hinter dem Haus ärgert nur die notorischen Quengler von der SPD und den Grünen. 2003, als er die CSU zur Zweidrittel-Mehrheit bei der Landtagswahl führte, hätten sie ihm einen Vertrag auf Lebenszeit zu Füßen gelegt. Und jetzt das.
Es bleibt rätselhaft, warum sich Edmund Stoiber beim winterlichen Putsch-Treffen in Wildbad Kreuth plötzlich ganz gegen sein Naturell so ergeben in sein Schicksal gefügt hat. Es gab und gibt aus der CSU keine konkreten politischen Vorwürfe gegen ihn, nur diesen Überdruss und die Angst, mit ihm 2008 die nächste Landtagswahl zu verlieren. Verlieren heißt bei der CSU, die absolute Mehrheit zu verfehlen. Bei den Landtagsabgeordneten, deren Anzahl sich derzeit aus dem 60-Prozent-Triumph Stoibers von 2003 ergibt, fielen dann viele Mandate weg, auch das hat eine Rolle gespielt.
Ob der Putsch wirklich erfolgreich war, wird endgültig erst mit Becksteins Wahlergebnis von 2008 feststehen. Der zeigt aber jetzt schon Unsicherheit. Gestern hat er ängstlich seine Kandidatur von der Landtagsfraktion festklopfen lassen, obwohl sie formal der Parteitag im September zu beschließen hätte. Das ist kein Zeichen von Selbsbewußtsein.
Derweil geht es in der CSU zu wie bei Familie Flodder, in der jeder macht was er will. Der Gegenkandidat Hubers für den Parteivorsitz, der Frauenverbraucherminister Horst Seehofer, hat seine Chancen krass gemindert, weil er sich eine Geliebte und unehelichen Nachwuchs zugelegt hat. Gabriele Pauli, reizvolle Vertreterin der Minderheitenfraktion "Latex und Lederhose", will jetzt auch CSU-Vorsitzende werden und wird aus der CSU angegiftet.
Generalsekretär Markus Söder, Stoibers letzter, wenn auch wirkungsloser Getreuer, sucht verzweifelt Unterschlupf in Becksteins Kabinett. Huber will, wenn er gewählt wird, vielleicht zur Absicherung der Macht auch noch Fraktionsvorsitzender im Landtag werden und der momentane Fraktionschef Joachim Herrmann weiß nicht, was er dann noch wollen soll. Und in Berlin schaut man feixend zu, wie aus dem Fernschnellzug CSU ein Regionalexpress wird.
Und Stoiber steht am Rednerpult und redet, als träte er gar nicht zurück.
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