Störzeile: Jumbo in der Badewanne
■ Wieviel Brahms verträgt ein Brahms-Jubiläum?
Klein und handlich sieht er aus, der Programm-Folder Lieben Sie Brahms? Aber das täuscht: Wer das bräunliche Heft aufschlägt und nachsieht, was zum hundertsten Todesjahr des Komponisten 1997 in seiner Geburtsstadt veranstaltet wird, dem entzünden sich die Augen. Klein und unleserlich gedruckt guckt es einen von drinnen mit einer solchen Unmenge von Konzerten, Ausstellungen, Festakten, Symposien an, daß man sich fragt, ob täglich Brahms mit Schlagsahne nicht auch die treuesten Fans zu Rohkostlern macht. Und dann erklärt einem Ernst Schönfelder, Supervisor des Jubiläums, auch noch, daß man durchaus mehr Veranstaltungen suche, „gerne auch aus der alternativen Szene.“
Anstatt ein gebührendes Festival zu veranstalten, drängeln sich Monat für Monat die Konzert-Events, bis das Wort „Brahms“ wie ein Gähnen oder Stoßseufzer klingen wird. Und das kam so: Da die Stadt kein Geld mehr für eine richtige Brahms-Sause hat, wurde von der Kulturstiftung die Initiative gestartet, alle Klangkörper und Konzertagenturen auf ein Johannes-Tribut zu verpflichten. Da alle gerne mitmachten, spielt Semyon Bychkov im November ebenso Brahms wie das Harvestehuder Studentenorchester im Januar. Knapp hundert Einzelveranstaltungen kommen so übers Jahr bisher zusammen.
Die richtige Frage für das Jubiläum muß deswegen auch nicht lauten: „Lieben Sie Brahms?“, sondern: „Wieviel Brahms verträgt der Mensch?“
Mehr operatives Geschick bewies da die Billig-Klassik-Firma Belart mit ihrer Brahms-Box. Auf zehn CDs im Schuber veröffentlicht sie alte und deswegen preisgünstige Einspielungen zu einem erschwinglichen Preis und einige Monate vor dem Jubeljahr. Dank des schnellen Verfallsdatums im Klassik-Zirkus kann der Hör-Laie wie der Genuß-Profi damit eine durchaus exquisite Auswahl von Brahms-Aufnahmen zum Familienpreis erstehen. Da dirigieren Lorin Maazel (die 2. und 4. Symphonie), Karl Böhm (die 1.) und Claudio Abbado (die 3.), und Prey, Schreier und Fischer-Dieskau singen seine Lieder. Große Orchester aus Wien, London, Cleveland, Dresden und Berlin geben der Sammlung, die natürlich auch das Deutsche Requiem, die Ungarischen Tänze und die Klavierkonzerte umfaßt, Schmackes und Dauerhaftigkeit.
Hauptsache, der Brahms-Kunde ist durch die Compilation nicht schon vor dem Startschuß zur Todesfeier überfüttert. Denn dann hilft nicht mal mehr Schlagsahne. Till Briegleb
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