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Stinkmorcheln in Männerhand

■ Geheime Verbindungen von Kunst, Natur und Geologie: Miron Schmückles fiktive Biologie in der Kunsthalle

Auch hier: nackte Haut. Und Blumen, schreiend schöne, märchenhaft bunte Blumen. Miron Schmückle mag den märchenhaften und folkloristischen Traditionen seiner früheren Heimat Rumänien sehr verbunden sein. Doch was hier in zwei Räumen der Kunsthalle gezeigt wird, ist dagegen eine eher raumbezogene, aktuelle und um ihren Kontext wissende Kunst. Bereits 1988 ist Miron Schmückle geflohen, hat in Kiel, Hamburg und St. Petersburg studiert und ist zurzeit Hubertus-Wald-Stipendiat des Hamburg-Stipendiums.

Seit 1996 zeichnet und malt er seine „Botanical archives“ und füllt sie vorwiegend mit Orchideen, der Pflanzengattung mit der größten Artenvielfalt. Doch obwohl biologisch stimmig, sind Schmückles Blumen so nicht existent. Besonders in Kombination mit einem Hintergrund aus stilisierten Bergen erinnern sie an die ersten floralen Phantasien von Zeichnern, die einst die Exotik neu entdeckter Welten darstellten oder heute, was fast dasselbe ist, fremdes Planetenleben der Science Fiction illustrieren. Dass diese buntbösen Blumen auch durchaus erotisch wirken, liegt gleichermaßen in der Logik der Pflanzenbiologie wie im Auge des Betrachters.

Eine Wand mit der dichten, so genannten „Petersburger Hängung“ von 21 Blütenzeichnungen sowie von vier runden und drei breitwandigen Gouachen zeigt auch zwei Großfotos: Je ein weiblicher und ein männlicher Torso mit Blumenbouquets in den Händen. In der historischen Porträtmalerei waren Blumen in ihrer inhaltlichen Bedeutung aufschlüsselbare Attribute; eine Nelke bezeichnete beispielsweise eine Witwe, ein Maiglöckchen eine Jungfrau. Vor einer nackten Person ohne Kopf und Unterkörper werden sie hier zu so etwas wie allgemeinen Allegorien. Und die Bedeutung jenes auffällig geformten Pilzes namens Stinkmorchel in Männerhand ist ein so großes Geheimnis nicht.

Das in der Kunstgeschichte relativ seltene Waldbodenstilleben gab das Vorbild für die inszenierten Fotos im anderen Raum. Wieder wird eine fiktive Biologie erforscht, diesmal aber aus realen Versatzstücken für die Kamera kombiniert. Und gegenüber überzieht ein mit Silberstift direkt auf den Putz gezeichnetes Wurzelgeflecht die Wand samt der dort positionierten Selbstporträts, Blüten und Berge. Im Seitenlicht silbrig glänzend ist die Wandzeichnung mehr als ein Ornament: Es ist der untergründige Strom geheimer Verbindungen von Künstler, Pflanzennatur und Geologie. Hajo Schiff

Miron Schmückle, Fountains of Joy: Improved Formula, Hamburger Kunsthalle; bis 28. April. Ausstellungsbroschüre mit einem interessanten Essay über den Sex der Pflanzen von der Kunsthistorikerin Bojana Pejic: 3 Euro

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