Stimmen zum Friedensnobelpreis: „Ansporn und Verpflichtung zugleich“
Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht den Preis für die EU als Würdigung der europäischen Einigung. Altbundeskanzler Helmut Kohl spricht von einer „wunderbaren Entscheidung“.
BERLIN/BRÜSSEL dpa/dapd/rtr | Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union als „wunderbare Entscheidung“ begrüßt. „Das ist Ansporn und Verpflichtung zugleich – auch für mich ganz persönlich“, sagte sie am Freitag in Berlin. „Das Nobelpreiskomitee würdigt damit die Idee der europäischen Einigung.“
Der ebenfalls nominierte Altbundeskanzler Helmut Kohl hat die Ehrung der Europäischen Union mit dem Friedensnobelpreis als „klug und weitsichtig“ begrüßt. „Ich freue mich sehr über diese Entscheidung“, erklärte der 82-Jährige am Freitag in einer schriftlichen Stellungnahme. Die Entscheidung des Nobelkomitees sei „vor allem eine Bestätigung für das Friedensprojekt Europa“. Zudem sei die Ehrung „eine Ermutigung für uns alle, auf dem Weg des geeinten Europa weiter voranzugehen“. Kohl endete mit den Worten: „Als Europäer haben wir heute allen Grund, stolz zu sein. Ich bin es.“
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat den Friedensnobelpreis für die EU als „große Ehre für unsere 500 Millionen Bürger, alle Mitgliedstaaten und europäischen Institutionen“ bezeichnet. Die Auszeichnung sende eine wichtige Botschaft in die Welt, sagte er nach der Bekanntgabe am Freitag bei einer spontan anberaumten Pressekonferenz in Brüssel: „Dass die EU etwas sehr Kostbares ist, dass sie in Ehren gehalten wird, zum Wohl der Europäer und der ganzen Welt.“ EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sprach von der „größtmöglichen Anerkennung für die tiefen politischen Motive hinter unserer Union“.
Der frühere Bundeskanzler Willy Brandt, die Menschenrechtsorganisation Amnesty International oder der chinesische Bürgerrechtler Liu Xiaobo haben eines gemeinsam: Ihr Einsatz für eine bessere Welt wurde mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt. Stifter ist der Erfinder des Dynamits, der Schwede Alfred Nobel (1833-1896). In seinem Testament beauftragte er das norwegische Parlament, das Storting, jährlich bis zu drei Personen oder Organisationen für ihre Verdienste auszuzeichnen. Seit 1901 ist die Europäische Union nun die 24. Organisation, der diese Ehre zu Teil wird.
Die Preisträger sollen „den besten oder größten Einsatz für Brüderlichkeit zwischen Staaten, für die Abschaffung oder Abrüstung von stehenden Heeren sowie für die Organisation und Förderung von Friedenskonferenzen“ gezeigt haben. Mit dem Friedensnobelpreis wird seit 1960 auch der Einsatz für Menschenrechte und seit 2004 der für Umwelt geehrt. Während andere Nobelpreise in der schwedischen Hauptstadt Stockholm vergeben werden, wird die Auszeichnung für Frieden im norwegischen Oslo verliehen. Die fünf Mitglieder des Komitees werden für sechs Jahre ernannt.
Die Preisträger werden jedes Jahr im Oktober bekanntgegeben. Bei der feierlichen Verleihung am 10. Dezember, dem Todestag Nobels, erhalten sie in Oslo eine Medaille, eine Urkunde und ein Preisgeld von umgerechnet rund 930.000 Euro. (dpa)
Euphorische Reaktionen
Auch die europäischen Volksvertreter reagierten euphorisch. „Wir im EU-Parlament sind tief bewegt“, erklärt dessen Präsident Martin Schulz. Die Union habe den Kontinent mit friedlichen Mittel geeint und Erzfeinde zusammengebracht. „Dieser historische Akt ist zurecht anerkannt worden.“
Barros sagte, er selbst habe die Entscheidung „mit tiefer Gefühlsregung“ aufgenommen und sei sehr stolz. Als er am Morgen aufgewacht sei, habe er nicht erwartet, dass es „ein so guter Tag“ werden sollte. Die Anerkennung sei jedoch gerechtfertigt, weil die EU ein „einzigartiges Projekt“ sei und für „Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Rechtstaatlichkeit und Respekt für Menschenrechte“ stehe.
Rompuy verwies in einer gemeinsamen Mitteilung mit Barroso darauf, dass Europa aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs heraus entstanden sei und einst verfeindete Kriegsgegner in einem „Projekt für Frieden“ versöhnt habe. „In den vergangenen 60 Jahren hat die Europäische Union einen durch den Kalten Krieg gespaltenen Kontinent wieder zusammengebracht.“ Damit sei sie „die größte friedensstiftende Institution, die je in der Weltgeschichte geschaffen wurde“.
„Magnet für Stabilität“
Dass die EU mit mehreren Ländern über einen Beitritt verhandelt, verdeutlicht Schulz zufolge, dass sie trotz aller wirtschaftlichen Herausforderungen „ein Magnet für Stabilität, Wohlstand und Demokratie ist“. Die Prinzipien und Werte der Versöhnung seien ein Vorbild für andere Weltregionen; vom Balkan über den Kaukasus diene die EU als „Leuchtturm für Demokratie und Versöhnung“.
Die Europäische Union habe weit über den eigenen Kontinent hinaus Großartiges geleistet, betonte auch Barroso. Sie sei immerhin der weltweit größte Geber von Entwicklungshilfe und verfolge das Ziel, „aus der Welt einen besseren Ort zu machen“. Nicht zuletzt schreite die EU auch im Kampf gegen den Klimawandel voran, erklärten der Kommissions- und Ratspräsident. „Dieser Friedensnobelpreis zeigt, dass die Europäische Union in schwierigen Zeiten eine Inspiration für Führer und Bürger in aller Welt bleibt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was