piwik no script img

Stimmen zu den Mauerfall-Feierlichkeiten"Die Deutschen haben uns die Show gestohlen"

Ganz Europa war dabei. Acht Korrespondenten verraten, welchen Eindruck sie von den Feiern zum Mauerfall hatten.

Staatsvertreter feiern den Mauerfall am Brandenburger Tor Bild: dpa

24 Stunden Liveübertragung

"Ich fand die Feiern nicht zu pompös. Wenn man sie mit den Feiern zum 200. Jubiläum der Französischen Revolution auf der Champs Élysées vergleicht, ist das harmlos. Ich fand die Feiern schön, mit vielen Symbolen, mit denen man ja hier viel vorsichtiger umgeht als bei uns. Die Reden waren knapp, und die Erinnerung an den Holocaust war ein sehr starker Moment. Ich glaube nicht, dass die Inszenierungen in Frankreich negativ aufgenommen werden. Es gab keine Zeitung, die nicht Berlin auf dem Titelblatt hatte, und unsere Kollegen von Radio France haben eine 24-Stunden-Liveübertragung aus Berlin gebracht - die Aufmerksamkeit war schon ziemlich groß." PASCAL THIBAUT

Der Autor ist Korrespondent von Radio France International

Die Show gestohlen

"Nach dieser Feier müssen die tschechischen Veranstaltungsmanager um ihre eigenen Feiern am 17. November fürchten, dem Gedenken an den Beginn der samtenen Revolution. Im Grunde ist es wie vor 20 Jahren: Auch damals kamen die Ostdeutschen den Tschechen zuvor, die bis dahin die DDR-Opposition eher belächelt hatten.

Die Feier wurde dem Ereignis aber gerecht. Auch in Prag sprach man in den letzten Tagen viel vom Fall der Mauer. Das hat auch für die tschechische Opposition viel bedeutet." JOROSLAV SONKA

Der Autor arbeitet unter anderem für Radio Cesko

Die Deutschen und ihr Gorbi

"Erstaunlich war für mich, dass man sich in Deutschland immer noch so intensiv mit Gorbatschow beschäftigt. Er war auch bei den Feiern am 9. November die Nummer eins. Die polnische Sicht ist die, dass alles in Danzig begann. Das war in Berlin nicht so sehr zu sehen. Gorbatschows Figur hat alles überschattet." PIOTR JENDROSZCZYK

Der Autor ist Korrespondent der "Rzeczpospolita"

Berlin war plötzlich in

"Ich fand es sehr beeindruckend, wie viele Menschen aus aller Welt davon berührt waren. Deswegen fand ich es auch nicht zu pompös, das Ereignis hat in die ganze Welt gestrahlt. Mir haben die Konzerte sehr gut gefallen, nur Thomas Gottschalk und Jon Bon Jovi waren mir zu MTV-mäßig. Ich und die anderen britischen Redakteure, die hier waren, sind alle in einem Alter, in dem der Mauerfall noch eine wichtige Rolle gespielt hat. Ich war damals 18. Plötzlich war Berlin und Deutschland total in; ich habe dann auch Deutsch studiert. Dass Audi die Feiern gesponsert hat, fand ich schon fast ironisch: als wollte man sagen, dass der Kapitalismus doch gesiegt hat mit diesem Plakat über den Fortschritt der Technik." KATE CONOLLY

Die Autorin ist Korrespondentin des "Guardian"

Ein Jahrhundertereignis

"1983 schickte mich die ,Hürriyet' zum ersten Mal nach Berlin. Es war ein sehr ungutes Gefühl, dass diese Mauer eine Stadt, ein Land und die Menschen trennt. Deshalb ist es toll, dass so ein Jahrhundertereignis wie der Mauerfall so groß und mit vielen internationalen Gästen gefeiert wurde. In der Türkei hat man den Mauerfall vor 20 Jahren natürlich nicht so wie die Deutschtürken in Berlin gefeiert, aber man hat sich für Deutschland gefreut. Es ist ja nicht nur die Mauer in Deutschland, sondern zwischen Westen und dem ganzen Ostblock gefallen. In den türkischen Medien wurde dieses Jahr sehr detailliert über die Geschehnisse von damals berichtet, gerade vor zwei Wochen habe ich den Leipziger Pfarrer Christian Führer zu den Demonstrationen von 1989 interviewt." AHMET KÜLAHÇI

Der Autor ist Korrespondent der "Hürriyet"

Berlin in Europa

"Am 9. November war in Berlin überall zu spüren, dass der Mauerfall ein europäisches Ereignis war. Nicht nur wegen der eingeladenen Politiker, sondern auch wegen der zahlreichen Touristen, die aus ganz Europa nach Berlin gekommen sind. Während der Feierlichkeiten ist es den Deutschen gelungen, diese europäische Dimension deutlich zu betonen. Sehr wichtig war, dass jeder deutsche Politiker daran erinnert hat, dass ohne den Beitrag der osteuropäischen Opposition wie der polnischen Solidarnosc die Berliner Mauer nicht gefallen wäre. Vor zehn Jahren noch haben die Osteuropäer in Berlin kein Lobeswort gehört. Nun haben wir es in Polen mit großer Genugtuung wahrgenommen." BARTOSZ WIELINSKI

Der Autor ist Korrespondent der "Gazeta Wyborcza"

Zweifellos ein Präzendenzfall

"Der Mauerfall ist in erster Linie ein Fest für die Deutschen, aber die Bedeutung überschreitet die Grenzen Deutschlands und war zweifellos ein Präzedenzfall, da die Staatsordnung ohne Blut und ohne Opfer zusammenbrach. Der größte Teil der Menschen in Russland nimmt den Mauerfall positiv wahr; es war ein denkwürdiges Ereignis, das auch in Russland zu positiven Veränderungen geführt hat. Aber es gibt auch Menschen, vor allem Jugendliche, die wissen sehr wenig über die damaligen Ereignisse." DMITRI POGORSCHELSKI

Der Autor ist Korrespondent des Fernsehsenders NTW

Tolles Fest, aber etwas lang

"Der 9. November ist ein großes Datum der deutschen und europäischen Geschichte, da ist so ein Fest angebracht. Allerdings war es etwas lang. Toll war, dass Menschen aus ganz Europa nach Berlin gekommen sind. 1989 hat man in Bulgarien erst spät durch westliche Sender vom Mauerfall erfahren. Es war der Beginn des Wandels auch dort. Deshalb haben die Medien diesmal die Berliner Feier sogar live übertragen. In Sofia gab es sogar einen symbolischen Mauerfall von Styroporblöcken." ALEXANDER VELEV

Der Autor ist Korrespondent des Nationalradios

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!