„Still, wir wollen was bewegen“

Yared Terfa Dibaba ist einer der Moderatoren des Sechstagerennens. Ein Exot, wie der in Äthiopien Geborene selbst sagt. Wenn im Velodrom die deutsche Seele kocht, obliegt es Dibaba, die Showeinlagen anzukündigen und die Werbung. Gute Unterhaltung leicht aussehen zu lassen ist seine Kunst

„Ich bin ganz klischeemäßig der Farbklecks der Veranstaltung“

VON WALTRAUD SCHWAB

Zum Berliner Sechstagerennen, das sich durch seine Neigung, dem kleinen Mann große Gefühle zu geben, auszeichnet, taucht Yared Terfa Dibaba auf. Exot des Events ist er, wie er sagt, „ich bin ganz klischeemäßig der Farbklecks der Veranstaltung“. Der schwarze Deutsche gehört seit 1999 zum Moderatorenteam des Winterbahnrennens in der Berlin Arena an der Landsberger Allee. Showeinlagen kündigt er an und die Werbung. „Dieser Sprint wird gesponsert von Coca-Cola. Make it real, Coca-Cola.“

Dieses Jahr fällt Dibaba allerdings auch die Rolle zu, die Startschusszeremonie des Berliner Sechstagerennens zu moderieren. Im gesponserten Cabrio – „Carena, bei Auswahl und Preis immer eine Radlänge voraus“ – werden Jeannette Biedermann und Claudia Pechstein an die Startlinie gefahren. Dibaba assistiert ihnen beim Aussteigen und plaudert ein bisschen mit den Damen „Sind Sie fit?“ „Worauf bereiten Sie sich vor?“ „Wie viel Kilometer radeln Sie?“ „Haben Sie schon einen Favoriten?“ Dann zeigt er ihnen, wie sie die Pistole halten müssen, und stellt die weiteren Protagonisten des Startschussquartetts vor.

Neben Pechstein und Biedermann ist die Vertreterin einer Berliner Bierbrauerei dabei. „Mein Berlin, mein Schultheiss.“ Sponsoren müssen umhätschelt werden. „Haben wir genug Bier für die nächsten sechs Tage?“, will Dibaba wissen. Die Antwort geht unter, denn der Vierte im Bunde, Sportsenator Klaus Böger (SPD), ist dabei, sein Gleichgewicht auf dem schrägen Lattenoval des Velodroms zu verlieren. Zu viele Berliner und Berlinerinnen im Publikum wollen den Politiker stürzen sehen. Erbarmungslos wird er ausgebuht, ausgepfiffen, ausgeschrien. Mehrere tausend Leute sind unisono dabei, ihm ihre Ablehnung zu zeigen. Eine Herausforderung für Dibaba ist das, aber er verbindet Unmut lässig mit Mitgefühl. Das Berliner Publikum sei das leidenschaftlichste aller Sechstagerennen, meint der in Hamburg lebende Moderator und fragt Böger, wie das komme. Die buhen immer, wenn ihnen was nicht passe, antwortet der Senator, um seine schlechte Figur wenigstens als witzige in den Abend hinüberzuretten.

Seinen miesen Abgang hat sich der Senator selbst zuzuschreiben. Dibaba ist keiner, der jemanden vorführt. Ganz im Gegenteil. Hier verkauft einer seine schauspielerischen Talente und seine Stimme auf charmante, angenehme und versöhnliche Art. Dibaba versteht, dass das Oberflächliche mitunter das Leben leichter macht. Die künstlerischen Abstriche mögen dabei das eine sein, der Brotberuf jedenfalls ist das andere. „Mannschaft 8 wird gesponsert von Still-Gabelstapler – Still, wir wollen was bewegen.“

Dass beim Sechstagerennen nicht fertige Werbeware vom Band eingespielt wird, sondern dass sich hinter den perfekt modulierten Sätzen ein sprechender Mensch verbirgt, jemand mit einem Gesicht, der die Werbung live einspricht, als Teil der Show – wer hätt’s gedacht? „Mannschaft 7 ist gesponsert vom Auto Center Berlin. Mit unseren Autos sind Sie auf dem richtigen Weg.“

Dibaba wurde in Äthiopien geboren. „Ich bin ein Oromo“, sagt er. Er wiederholt es oft im Gespräch. Oromo sind stolz auf ihre Herkunft. Zum ersten Mal kam er mit vier Jahren nach Deutschland. Nach Osnabrück. Dort wurde er eingeschult. Mit sechseinhalb Jahren ging es zurück nach Äthiopien. „Ein Kulturschock“, sagt Dibaba, „aber auch eine witzige Gegend, um aufzuwachsen.“ Witzig – ein eigenwilliges Resümee. Man sei näher an den Menschen dran dort, erklärt er. „Weniger Technik, viel offene Armut, schärfere Gegensätze. Bettler und Leprakranke neben Hilton-Hotel.“ Bürgerkrieg im Alltag, das hat er auch mitgekriegt. Schießereien nachts, Tote auf dem Schulweg. Bilder, die jeder gern vergessen möchte.

Mit zehn Jahren kam Dibaba 1979 zurück nach Deutschland. In der Nähe von Delmenhorst wuchs er auf. Man fällt auf als Schwarzer in einem norddeutschen Dorf, meint er. Nervig sei das, aber zurückblickend findet er, dass der Umgang der Deutschen mit Leuten, die sie nicht für ihresgleichen halten, in den Achtzigerjahren entspannter war als heute. Dennoch, auch er kennt rassistische Sprüche und hat sich Strategien zurechtgelegt, wie sie abgewehrt werden können. „Die meisten kriegen schon einen Schreck, wenn sie hören, dass ich mindestens so gut Deutsch spreche wie sie.“ Viel mehr sagt er dazu nicht. Überhaupt braucht, wer ihm Fragen stellt, Geduld. Antworten werden – wie es für die Norddeutschen üblich sein soll – mit Bedacht gesetzt. „Ich bin ein Norddeutscher“, bestätigt Dibaba. Stolz auf seine zweite Herkunft ist er auch.

In Delmenhorst machte Dibaba Abitur. Heute zählt das dortige Max-Planck-Gymnasium den Moderator, Comedy-Star, Sänger zu seinen Promis, wie auf der Website der Schule zu lesen ist. Singen und sich auf der Bühne präsentieren – das war, so sagt er, schon immer sein Traum. Jemand anders sein, jemand, der aus einem Repertoire an Möglichkeiten schöpft. Schließlich kann, wer zwei Sozialisationen hat, auch leicht zwischen nationalen Identitäten und Sprachen wechseln. Warum sollte das nicht zwischen Charakteren, Genres, Rollen gehen?

„Früher dachte ich, ich sitze zwischen zwei Stühlen, heute denke ich, dass ich auf zweien sitze.“ Kommt hinzu, dass Dibaba in Wirklichkeit nicht nur bikulturell, sondern in Kontakt mit vier Kulturen aufwuchs. Neben Oromo und Deutsch sind auch Englisch und Amharisch seine Muttersprachen. „Gut, das ging zu Lasten der Rechtschreibung“, seufzt er. Trotzdem: Das Multikulturelle gibt er weiter. Seine Frau, die er beim Sechstagerennen kennen lernte, ist Portugiesin, sein Sohn wächst dreisprachig auf.

Zur Bühne führte ihn kein direkter Weg. Zuerst machte er eine kaufmännische Ausbildung und wurde Kaffeetester. Mit 24 geriet er, eher zufällig, wie er meint, in eine Aufnahmeprüfung für die Schauspielschule und wurde angenommen. Seither tourt er mit seinem Showbusiness-Bauchladen durch die Republik: Moderator, Sänger, Fotomodell, Schauspieler. Meistens moderiert er. Auf Messen, bei Beachvolleyballwettkämpfen, beim Berliner Sechstagerennen. „Die große Schultheiss-Jagd wird Ihnen präsentiert von Schultheiss. Mein Berlin. Mein Schultheiss.“

Einem „Uncle Ben’s Rice“-Werbespot sei es zu verdanken, dass sein Gesicht hohen Bekanntheitsgrad erhalten habe. Darin mimt er einen Bräutigam. Statt Reiskörnern, die man Brautpaaren sonst über die Köpfe streut, schleudern ihm ein paar Kinder Milchreis ins Gesicht. Er wischt sich das Zeug von der Wange und leckt den Finger ab. „Hmm, Apfel-Zimt“, sagt er im Spot. „Hmm, Apfel-Zimt“, wiederholt er.

Beim Sechstagerennen nun ist er für die leichte Unterhaltung und den Kommerz zuständig. Ob ihn das nicht zu wenig sei? „In Deutschland hat man mit Oberflächlichkeit, mit Smalltalk, ein Problem“, antwortet er. „Dabei ist guter Smalltalk eine Kunst.“ Kommunikation funktioniere in verschiedenen Kulturen verschieden. Das solle man nicht werten. Weil sein Hier immer auch ein Dort sein kann, schöpft Dibaba aus der Erfahrung, dass unterschiedliche Perspektiven auf ein Geschehen unterschiedliche Schlüsse nahe legen. Es gehe um das Spiel an den Rändern. Ist man zu nachdenklich, werde es schwer, wenn man nicht mehr rauskomme. Ist man zu oberflächlich, sei man genauso gefangen. „Gute Unterhaltung leicht aussehen zu lassen aber ist schwierig.“

„Still-Gabelstapler – wir wollen was bewegen“, sagt Dibaba ins Mikrofon, denn im Velodrom wiederholt sich alles. Die Fahrer drehen ihre Bahnen. Das Publikum kommt in den Rundenrausch. Siegerehrungen gibt’s und Verlierer. Der Sportpalastwalzer mit dem dreifachen Pfiff ertönt. Blumensträuße fliegen ins Publikum. „Mein Berlin, mein Schultheiss.“ Rundengewinne gehen vor Punktgewinne. „We are the champions“, dazu die La-Ola-Welle. Sprints, Rekordfahrten und große Jagden werden geboten. Frank Zander grölt „noch ne Runde“. „Olé olé olé olé“, der Rhythmus, die Anspannung, die Entspannung. Dazwischen „Zeit für mich – Bad Liebenwerda Mineralwasser – Zeit für das Quellgesunde“ und „Centro in Berlin wird Niederlassung Berlin“ oder „Hellweg, die Profibaumärkte, wir freuen uns auf Ihren Besuch.“ Live eingesprochen von Yared Terfa Dibaba. Wie auf seiner Website zu lesen ist, bedeutet sein Name „der von Gott Gesandte – die Auslese – der Schutz“. Religiös ist der Moderator. Er glaubt an Gott. „Gott ist eine von vielen Möglichkeiten“, meint er.

Nicht alle lassen sich auf das Spiel an den Rändern ein. „Wegen der Wettkämpfe bin ich gekommen“, sagt ein Zuschauer des Sechstagerennens säuerlich in der Showpause. Das Kommerzielle erträgt er, wie man Langeweile und Schweißgeruch bei einem Gastgeber erträgt. „Energie einfach abrechnen? – Techem, die regeln das.“ Ein anderer sagt: „Früher sind die Moderatoren mehr ins Gespräch mit uns gegangen, haben den Dialog gesucht, haben uns angefeuert. Schade, dass das weg ist. „Make it real, make it Coca-Cola.“