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„Still! Es heißt sich fügen“

■ Ein Stück widerspruchsvolle Frauengeschichte dokumentieren die Briefe der Hanne Boldt

Hanne Boldt ist zweiundzwanzig und hochschwanger mit ihrem zweiten Kind, als ihr geliebter Julius im August 1914 als Kriegsfreiwilliger zu den Fahnen eilt. Von einem auf den anderen Tag übernimmt sie die Regie im Kolonialwarenhandel ihres Mannes in Hamburg–Eimsbüttel - wie so viele Frauen dieser Zeit, die sich wie selbstverständlich in den traditionell männlichen Arbeitsbereichen zurechtfinden mußten. Und zäh verteidigt sie diese neue Aufgabe gegen das Ansinnen, einen männlichen „Kommiss“ an ihrer Stelle einzusetzen. Die doppelte und dreifache Belastung Nie aber stellt sie, die doppelt und dreifach Belastete, die traditionelle Rollenverteilung in Frage. „Wir stellen uns gern unter die Führung eines Mannes, die Frau bedarf des Schutzes, sie ist dazu geschaffen“, schreibt sie an Julius und erwartet sehnsüchtig seine Heimkehr. In ihren täglichen Briefen berichtet sie minutiös über die Vorgänge im Geschäft, über ihre Probleme mit Weinpreisen und vergammelten Champignons, mit Lieferanten, die eine Frau als Geschäftspartnerin nicht ernstnehmen und mit der schwindenden Kaufkraft der Kunden. Sie gibt ihm die neuesten Siegesmeldungen weiter, erzählt begeistert von Jubelszenen und Siegesfeiern auf Hamburger Straßen und meint, den Mann, um den sie so fürchtet, noch anfeuern zu müssen: „Na, nu schlagt tapfer zu, nur komme mit heiler Haut wieder.“ Aber wenige Wochen nach Beginn des Krieges schreibt sie auch schon: „In Hamburg treffen seit kurzer Zeit die ersten Verwundetentransporte ein. So sehr das Volk jubelt beim Eintreffen der Siegesnachrichten, um so mehr schweigt es, wenn die Verwundetentransporte kommen“. Und die stärker werdenden Zweifel kämpft sie mit Durchhalteparolen nieder: „Doch still! Still! Es heißt sich fügen. Immer und immer wieder. Da gibt es nichts anderes.“ Julius Boldt spielt das Spiel mit. In einem der wenigen Briefe, die von ihm erhalten bleiben, schildert er seinem Bruder tief deprimiert die Greuel des Krieges und fügt an: „Sage Hanne und Mutter auch nichts von dem hier Geschriebenen. Die machen sich nur unnütze Gedanken“. So verhindert die patriarchale Familienstruktur bis zuletzt, daß zwei sich liebende Menschen sich über ihre Wirklichkeit verständigen. Vielleicht mit ein Grund dafür, daß Hanne Boldt den Tod ihres Mannes nie verkraftet hat. „So tüchtig und so schrecklich blöd“ „So tüchtig und so schrecklich blöd, so lebensklug und so verdummt“, schreibt Luc Jochimsen im Vorwort. Und es berührt wirklich die Schmerzgrenze, mitzuvollziehen, wie sie sich bei Julius entschuldigt, weil auch das zweite Kind nur ein Mädchen wurde: „Wie gerne ich Dir einen Knaben geschenkt, wie gerne, das glaubst Du gar nicht. (...)“ Edith Hagener - Hanne Boldts Tochter - hat die Ausschnitte aus den Briefen zusammengestellt, mit biographischen Anmerkungen versehen und behutsam kommentiert. Dazwischen werden abrißartig die historischen Voraussetzungen und Ereignisse des Ersten Weltkrieges referiert. Mich hat dieses Buch neugierig gemacht auf die Frau, die sich, als sie schon selbst Großmutter war, so ausgiebig mit ihrer Mutter beschäftigte. Und ich wollte wissen wie diese frühen Ereignisse ihr eigenes Leben geprägt haben. (s. Artikel auf dieser Seite.) Daß darüber in ihrem Buch so wenig zu lesen ist, ist wohl weniger eine Entscheidung der Autorin als des Lektorates des Beltz–Verlages, der sich als einziger an den Briefen interessiert zeigte. So ist dieses Buch, in dem ein wichtiges Stück Frauengeschichte steckt, von der Aufmachung her ein Beitrag zur politischen Bildung Jugendlicher. Irene Stratenwerth Edith Hagener: Es lief sich so sicher an Deinem Arm. Beltz–Verlag Weinheim und Basel 1986, 12,–

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