Stil-Frage: Geheime Frisuren
Zivilpolizisten werden für Zeugenaussagen maskiert. In der Vergangenen Woche wurde da einiges vorgeführt
Warum hat sich der Mann für seine Aussage vor Gericht nicht ordentlich rasiert? Wieso trägt er einen Vokuhila, der selbst beim schlimmsten Ballermann-Sänger überraschen würde? Und was sollen diese Koteletten?
Eigentlich weiß es ja jeder: Unter jede Demonstration, für oder gegen was auch immer auf die Straße gegangen wird, mischen sich PolizistInnen in Zivil. Deshalb nehmen sie auch immer wieder im Zeugenstand Platz. Zum Beispiel vergangene Woche, als gleich in mehreren Prozessen über Flaschen- und Steinwürfe beim G20-Gipfel und bei 1.-Mai-Demos verhandelt wurde.
Diese ZeugInnen stellen die Maskenbildner vor Herausforderungen, denn sie müssen die ZivilpolizistInnen unkenntlich machen, damit die sich auf der nächsten Demo noch unerkannt unters Volk mischen können. Und dafür braucht es jede Menge Schminke, künstliche Barthaare, Perücken und eine Nummer zu große Klamotten.
Da sitzen sie dann, die sogenannten Tatbeobachter: Eine Polizistin hat sich für ihre Zeugenaussage mit mehreren Schichten hochgeschlossener Kleidung inklusive Halstuch regelrecht verhüllt. Das Gesicht einer anderen Polizistin juckt unter der dicken Schminke offenbar so sehr, dass sie sich unentwegt ins Gesicht fasst. Ein anderer Beamter hat später vermutlich einen ganz fusseligen Mund – nicht vom Sprechen, sondern von seinen wollig-flauschigen Koteletten, die perfekt zu seiner Lockenkopf-Perücke passen.
Überhaupt führten die Zeugen vergangene Woche einige Highlights aus dem Haarteil-Arsenal vor: Ein Beamter erheiterte die Zuschauer, als er den Gerichtssaal mit einem Vokuhila betrat, den viele seit den Achtzigern nicht mehr gesehen haben dürften.
Die von der Verteidigung gern gestellte Frage „Haben Sie heute Ihr Aussehen verändert?“ erübrigt sich oft. So wie die Fragen nach Aufenthaltsorten und Vorgehen der ZivilpolizistInnen bei den Demos. Das ist aus „polizeitaktischen Gründen“ oft genauso geheim wie ihre echten Frisuren. Marthe Ruddat
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