piwik no script img

■ Willkommen in der Schweiz!Steuersünder, vereinigt Euch!

Die Schweiz ist für ausländische Steuerflüchtlinge offenbar nicht mehr die erste Adresse. Illustrieren läßt sich diese Vermutung mit dem flüchtigen deutschen Immobilienhändler Jürgen Schneider. In Zürich soll er nach Angaben der Bezirksanwaltschaft nur vier Millionen Mark versteckt haben, während Banken der karibischen Steueroase Bahamainseln rund 240 Millionen des Pleitiers verwalten dürfen.

Der Finanzplatz Schweiz habe sich wieder einen „erstklassigen“ Ruf erworben, stellte der Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank, Markus Lusser, bei der Generalversammlung Ende April fest. Ins gleiche Horn blies auch die angesehene „Financial Action Task Force on Money Laundring“ (FATF). Sie untersucht die Anstrengungen der Länder im Kampf gegen die Geldwäscherei und attestiert der Schweiz für 1992/93, mehr als das empfohlene Minimum getan zu haben.

Die Rolle der Musterschüler behagt aber immer weniger SchweizerInnen. Warum sollen nur ausländische Steuersünder von den Vorteilen der schweizerischen Bankengesetzgebung profitieren? Weil die Abgeordneten in den beiden eidgenössischen Parlamentskammern den Puls des Volkes fühlen, haben sie vor kurzem beschlossen, auch die einheimischen Fiskusakrobaten an den Segnungen des Steuerbetrugs teilhaben zu lassen. Die Regierung erhielt den Auftrag, einen Entwurf für eine generelle Steueramnestie auszuarbeiten. Der Vorschlag des Bundesrates zur „Steuerabsolution“ wird dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden müssen, weil dafür eine Verfassungsänderung notwendig ist. Über den Ausgang dieser Abstimmung wird bereits genüßlich spekuliert. Moral und Rechtsordnung stehen dabei gegen Gewissenserleichterung und Aufbesserung der Staatsfinanzen.

Steueramnestien in der Schweiz haben – wie in anderen europäischen Ländern – „Tradition“. Die letzte steuerliche Gewissenserleichterung in der Eidgenossenschaft liegt allerdings bereits ein Vierteljahrhundert (1969) zurück. Damals fanden 11,5 Milliarden unversteuerte Franken (bei heutigem Kurs rund 13,5 Milliarden Mark) den Weg zurück in die Legalität. Eine Untersuchung zeigte, daß damals jeder fünfte Schweizer mit mehr als 50.000 Franken Vermögen vom Angebot Gebrauch machte, geheime Sparhefte, -strümpfe und Bankkonten straffrei dem Fiskus bekanntzugeben. Die Schweizer, ein Volk von Steuerhinterziehern? Kaum, auch wenn geschätzt wird, daß eine Steueramnestie heute Vermögenswerte von mehr als 30 Milliarden Franken (34 Milliarden Mark) an den Tag bringen könnten. Vielleicht hat die Neue Zürcher Zeitung recht, wenn es in einem Leitartikel zur Steueramnestie heißt: „Gesetzesübertretungen wird es immer geben – nicht nur im Fiskalbereich. Das liegt in der Natur des Menschen.“ Daraus ergibt sich die Maxime: Steuersünder aller Länder, vereinigt euch. Und wenn irgend möglich in der Schweiz. Hilmar Gernet

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen