Steuerschätzung 2011: Das Extrageld ist schon weg
135 Milliarden Euro mehr Steuern als bisher erwartet könnte der Staat bis 2014 einnehmen, haben Experten errechnet. Finanzminister Schäuble will weitersparen.
BERLIN taz | Der Ton des Finanzministers ändert sich. Bei der Vorstellung der positiven Steuerschätzung für die kommenden Jahre sagte Wolfgang Schäuble am Donnerstag: "Wir haben Reserven. Es gibt Handlungsspielraum für schlechte Zeiten." Zwar betonte der CDU-Politiker, es sei vordringlich, die hohen Schulden zu verringern, seine Äußerung lässt jedoch auch eine größere Steuersenkung nicht mehr so unrealistisch erscheinen wie bisher.
Die Steuern besonders für den Mittelstand zu senken, fordern FDP und CSU. Die Zahlen, die der Arbeitskreis der Steuerschätzer gestern veröffentlichte, leisten diesem Bestreben auf den ersten Blick Vorschub.
Denn die Schätzer prognostizieren, dass Bund, Länder und Gemeinden zwischen 2011 und 2014 etwa 135 Milliarden Euro mehr einnehmen könnten als bei der vergangenen Steuerschätzung im November 2010 errechnet. Auf den Bund entfielen dabei zusätzliche Einnahmen von etwa 66 Milliarden Euro.
Diesen Zahlen, die einen vermeintlichen Geldsegen erwarten lassen, setzt Schäubles Staatssekretär Werner Gatzer jedoch seine eigene Argumentation entgegen. Den größten Teil der Mehreinnahmen habe die Regierung bereits in ihrem Eckwertebeschluss vom Februar 2011 einkalkuliert und damit verplant - unter anderem, um die Neuverschuldung in diesem Jahr weiter zu senken.
Der tatsächliche finanzielle Gewinn gegenüber dieser Finanzplanung betrage also nur gut 20 Milliarden Euro zwischen 2011 und 2014. Infolge der guten Konjunktur verfüge der Bund pro Jahr über etwa 5 Milliarden zusätzlich, so Gatzer.
Und diesen Mehreinnahmen, so die trickreiche Argumentation Schäubles, stünden auch schon wieder potenzielle Mehrausgaben und Mindereinnahmen gegenüber. Die Botschaft an die Koalitionspartner lautet demzufolge: Das zusätzliche Geld ist bereits weg.
Angst vor Kapitalflucht
Als Beispiel für ursprünglich geplante, nun aber fehlende Einnahmen nannte Schäuble die Finanzmarktsteuer. Diese Abgabe auf Spekulationsgeschäfte hat die Regierung mit 2 Milliarden Euro jährlich in den Haushalt eingestellt. Nun räumte der Minister allerdings ein, dass er mit dem Geld zumindest für 2012 nicht mehr rechne.
Der Grund: Die EU-Kommission weigere sich, einen Vorschlag für die europaweite Einführung der Steuer vorzulegen. Alleine aber will die Bundesregierung die Steuer nicht erheben, weil sie Kapitalflucht ins Ausland befürchtet. Ob die Steuer angesichts des Widerstands in Europa jemals kommt, steht in den Sternen.
Eine weitere Belastung für die Zukunft stellen auch die bislang nicht eingeplanten Ausgaben für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) von gut 4 Milliarden Euro jährlich dar. Das ist der Sonderfonds, mit dem man bankrotte Staaten wie Griechenland ab 2013 unterstützen will. Hinzu kommen potenziell höhere Ausgaben für Zinsen und die Energiewende.
Davon abgesehen wird die Neuverschuldung 2011 trotz besserer Steuereinnahmen immer noch knapp 40 Milliarden Euro betragen - eine astronomische Summe, die mehr als dreimal so hoch ist wie vor der Finanzkrise 2008. Der Staat hat eigentlich kein Geld für Steuersenkungen.
Bundstagswahl 2013 im Blick
Das weiß auch Schäuble. Andererseits ist der Finanzminister ein gewiefter Politiker, der sich Handlungsmöglichkeiten offenhalten will. Deshalb warnt er vor Steuersenkungen, schließt sie aber auch nicht aus. 2013 ist Bundestagswahl. Da will der Minister noch einen Pfeil im Köcher haben.
Schäuble diese Möglichkeit zu verbauen ist der Wunsch der Opposition. Deswegen fordert unter anderem SPD-Finanzexperte Carsten Schneider den Minister dauernd auf, mehr zu sparen und die Verschuldung schneller zu reduzieren.
Schäuble könne, so Schneider, angesichts der zusätzlichen Steuereinnahmen die Schuldenbremse nicht erst 2016, sondern schon ein Jahr früher einhalten - wenn er nur wolle. Aber Schäuble will nicht - lieber ist ihm eine finanzielle Reserve.
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