Steuerprivilegien für Fußballer: È finita!
Vom italienischen Steuersparmodell haben viele profitiert. Doch nun kommt das Aus für Steuerabzocker. Das wird den italienischen Fußball verändern.
Das Entsetzen war groß. Als „Eigentor für die Welt des Fußballs und die Ökonomie des Staates Italien“ bezeichnete Giuseppe Marotta, Konstrukteur der Meistermannschaften von Juventus Turin und Inter Mailand, die Abschaffung des sogenannten decreto crescità, des Wachstumsgesetzes. Das wurde 2019 eingeführt, um der Abwanderung junger Akademiker*innen Einhalt zu gebieten und Fachkräfte aus dem Ausland anzuziehen.
Sie profitierten bei einem Wohnsitzwechsel nach Italien von einer auf 10 bis 50 Prozent reduzierten Einkommensteuer. Das wirkte. Wanderten 2018 noch 27.080 Personen mit Studienabschluss aus und kehrten nur 13.334 zurück, so lagen 2021 nach Recherchen des Wirtschaftsmagazins lavoce.info die Zahlen der Rückkehrer bei 17.473 und die der Auswanderer bei 23.577.
Natürlich waren auch die Klubmanager und die Spieleragenten scharf aufs Steuersparmodell. Als im Sommer 2019 Antonio Conte als Trainer von der Premier League zurück in die Serie A kam, sparte Inter etwa 7 Millionen Euro pro Jahr an Steuern und langte auch bei Spielern kräftig zu. So kam der belgische Mittelstürmer Romelu Lukaku für eine Ablöse von 74 Millionen Euro. Juventus stand dem kaum nach, holte Matthijs de Ligt für 85,5 Millionen Euro von Ajax. Der AC Mailand erwarb die aktuellen Leistungsträger Rafael Leao (49,5 Millionen; aus Frankreich) und Theo Hernandes (22,8 Millionen; aus Spanien).
Im Jahr zuvor war Cristiano Ronaldo nach Turin gekommen. Er profitierte zwar nicht vom Wachstumsgesetz, aber von der 2017 eingeführten flat tax für Ausländer. Die konnten mit Wohnsitz in Italien alle außerhalb des Landes erzielten Einkünfte ungeachtet ihrer Höhe mit 100.000 Euro Steuer abgelten. Diese umgangssprachlich „Ronaldo-Gesetz“ getaufte Regelung ist weiterhin in Kraft. Wie auch das Wachstumsgesetz. Es gilt jetzt allerdings ausschließlich für Menschen mit akademischem Abschluss und ist auf ein Jahresgehalt von maximal 600.000 Euro begrenzt.
„Nachwuchs besser entwickeln“
Allein deshalb ist der Aufschrei auch groß. „Die Wettbewerbsfähigkeit für den italienischen Fußball wird leiden, weniger internationale Stars werden kommen und auch die kleinen Vereine werden keinen Vorteil haben, denn die TV-Einnahmen werden zurückgehen“, prognostizierte Inter-Manager Marotta. Ins gleiche Horn stieß Lazio-Präsident Claudio Lotito – in Personalunion übrigens Mitglied des römischen Senats, der die Modifizierung des Gesetzes abgesegnet hatte, sowie der Präsident des italienischen Nationalen Olympischen Komitees, Giovanni Malagò. Auswirkungen auf den aktuellen Transfermarkt sind tatsächlich nicht ausgeschlossen. Große Namen zirkulieren derzeit nicht.
Marotta & Co. sind in ihrer Befürchtung um einen Rückschritt des italienischen Klubfußballs auch durch die Statistik gedeckt. Seit der Saison 2019/20 kletterte die Serie A im Punkteranking des Kontinentalverbandes Uefa gewaltig, von 12.642 Punkten im Jahr 2018 auf zuletzt 22.357 Punkte. Finalteilnahmen in allen drei europäischen Klubwettbewerben trugen dazu bei. Diese Erfolge korrelieren mit den Steuervorteilen für Millionäre.
Den kleinen Schritt hin zu größerer Steuergerechtigkeit kann man auch gelassener kommentieren: „Dann müssen wir eben unseren Nachwuchs besser entwickeln“, meinte Juventus-Coach Massimiliano Allegri. Da hapert es in Italien gewaltig. Nur 4,6 Millionen Euro geben die Klubs durchschnittlich für den Nachwuchs aus (Premier League 6,5 Millionen, Bundesliga 5,4 Millionen). Die Einsatzzeiten für im Klub ausgebildete Spieler liegen bei 7,2 Prozent (Premier League 12,1; Bundesliga 10,2 und La Liga 17,1). Und auch der Ausländeranteil der Serie A ist mit 64 Prozent Anteil an Spielminuten europaweit sehr hoch (Premier League 59, Bundesliga 54).
Angesichts dieser Bilanz – veröffentlicht vom Fanmagazin Contrasti – begrüßte der Präsident der Spielergewerkschaft AIC, Umberto Calcagno, die Abschaffung der Steuervorteile für ausländische Spitzenverdiener als „wichtigen Schritt für die Zukunft des italienischen Fußballs und unseres Nationalteams“. Der Calcio ist nicht zum Untergang verdammt, nur weil es ein paar Toptransfers weniger gibt.
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