: Sterben ist beschämend
■ Andy Warhol über den Tod in seinem Band „America“ 1968 schoß Valerie Solanas auf den Künstler und verletzte ihn schwer
Als ich angeschossen wurde, gingen zwei Kugeln durch meinen Bauch, Leber, die linke und die rechte Lunge. Die Ärzte und alle anderen, mich eingeschlossen, waren sicher, daß ich sterben würde, und wir stellten uns darauf ein, und dann starb ich doch nicht. Aber ich habe mir immer gewünscht, daß ich gestorben wäre, und ich wünsche das noch immer, weil ich damit die ganze Sache hinter mich gebracht hätte. Sterben ist das Beschämendste, das dir passieren kann, weil sich jemand um dich kümmern muß. Du bist tot, und jemand berührt deinen Körper, sorgt für die Vorbereitungen zum Begräbnis, sucht die Urne aus, wählt die Begräbniszeremonie, den Friedhof und die Kleider, die dir angezogen werden und jemand richtet dich zurecht und macht dein Make up. Du würdest ihnen gerne helfen, und du würdest am liebsten alles selbst machen, aber du bist tot und so kannst du nichts tun. Dein ganzes Leben hast du damit verbracht, genug Geld zu verdienen, um für dich selbst sorgen zu können, so daß du niemanden mit deinen Problemen belästigen mußt, und dann beendest du dein Leben damit, daß du die größte Schwierigkeit jemand anderem auflädst. Es ist eine Schande. Ich habe nie verstanden, warum man nicht einfach verschwindet, wenn man stirbt, und alles würde einfach so weiterlaufen, nur daß du nicht mehr da bist. Ich dachte immer, daß es schön wäre, wenn mein Grabstein keine Inschrift hätte, keinen Namen. Nun, eigentlich, man könnte draufschreiben Einbildung. Aus „America“, Harpers & Row 1986, Kapitel „Lenox“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen