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Lin Hierse Poetical CorrectnessWann kommt die „feministische Außenpolitik“?

Zwischen Griechenland und der Türkei fließt ein Fluss, der Evros. Er bildet dort eine natürliche Grenze und ist damit auch Teil der Außengrenze der EU. Der griechische Grenzschutz und Frontex überwachen ihn. Was das bedeutet, wissen wir. Wir wissen von der Grausamkeit, auch wenn wir wegsehen, oder wir sehen weg, weil es grausam ist.

Alles, was im Folgenden aufgeführt wird, wurde demnach schon gesagt. Auf die eine Art und die andere, vor Jahrzehnten, vor Minuten, von verschiedenen und doch von den immergleichen Leuten. Was hier steht, wissen Sie längst. Das stellt auch mich vor ein Problem. Ich schreibe die gleichen Dinge, stelle sie auf den Kopf, versuche sie neu zu fühlen, versuche sie anders zu formen, aber: es sind die gleichen Dinge. Ständige Wiederholung macht Gedanken mürbe und Gefühle taub. Wenn man Sand in unterschiedliche Förmchen füllt, bleibt er doch Sand. Wenn man ständig vom Sterben an Europas Grenzen erzählt, ist das Entsetzen irgendwann nur noch Reflex, und jeder neue Text wie ein alter.

Ich kann trotzdem nicht aufhören, an das fünfjährige Mädchen zu denken, das vor einer Woche auf einer Sandbank im Evros starb. Sie war Teil einer Gruppe von 40 Menschen, die auf der Flucht von Syrien nach Europa versuchten, den Fluss zu überqueren. Sie hingen wochenlang dort fest. Das Mädchen wurde auf der Sandbank von einem Skorpion gestochen, dann erlag es dem Gift. Um den Leichnam ihrer Tochter vor Verwesung zu bewahren, kühlten die Eltern ihn im Fluss. Ein weiteres Kind wurde gestochen, eine schwangere Frau klagte über Blutungen. Alle wussten davon, die Öffentlichkeit, der griechische Grenzschutz, Politiker:innen. Es gab Video- und Tonaufnahmen, genaue Informationen zu ihrem Aufenthaltsort. Aber die Behörden halfen nicht, sie behaupteten einfach, die Gruppe nicht finden zu können.

Die Fünftage­vorschau

Do., 18. 8.Mohamed AmjahidDie Nafrichten

Fr, 19. 8.PeterWeissenburgerUnisex

Mo., 22. 8.Gilda SahebiKrank undSchein

Di., 23. 8.Lou ZuckerHot undhysterisch

Mi., 24. 8. Sophia ZessnikGreat Depression

kolumne @taz.de

Die Überlebenden kamen am Montagabend in Griechenland an. Ich habe gelesen, dass das tote Mädchen Maria hieß. Vor sieben Jahren, als das Foto des ertrunkenen Alan Kurdi um die Welt ging, wurde kurzzeitig deutlich mehr Geld für Geflüchtete aus Syrien gespendet. Sein Tod hat viele berührt. Und doch machte es politisch keinen Unterschied, dass wir den Namen Alan Kurdi lernten. Menschen sterben weiterhin auf dem Weg in die EU. Ich frage mich, ob eine Außenministerin, die sagt „Wenn wir wegschauen, gehen unsere Werte im Mittelmeer unter“, sich schämt, weil sie doch wissen muss, dass dieser Satz keine Eventualität beschreibt, sondern einen auch von Deutschland willentlich herbeigeführten und weiterhin geförderten Zustand. Ob sie noch umsetzen will, was im Koalitionsvertrag steht: das Leid an den Außengrenzen beenden. Wann die „feministische Außenpolitik“ kommt. Wie viele Namen wir bis dahin noch lernen und wie viele nicht. Wie viele Texte wir noch schreiben und lesen, die hier und da etwas anders aussehen, aber eigentlich immer dieselben sind.

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