piwik no script img

Steinzeitliches im Atomzeitalter

■ UdSSR und DDR verstärken Kritik an Kohl / Zweifel an Kooperationsbereitschaft Bonns

Im Unterschied zur hier verbreiteten Auffassung, daß es sich bei dem Goebbels–Gorbatschow–Vergleich des Helmut Kohl in einem Newsweek–Interview möglicherweise nur um einen Ausrutscher handelte, hält die Sowjetunion den Kanzler keinesfalls für eine Entgleisungsfigur. Am Donnerstag ging die sowjetische Regierungszeitung Prawda erstmals direkt auf die Krise zwischen Bonn und Moskau ein. Die vermehrten Attacken Kohls seien gezeichnet von einer „steinzeitlichen Feindschaft gegenüber der Sowjetunion, der DDR und dem Weltsozialismus insgesamt sowie dem Unverständnis für die Realitäten des Atomraketenzeitalters“. Auch das Neue Deutschland verschärfte in Form des Nachdrucks eines Kommentars der DKP– Zeitung UZ zum CDU–Wahlprogramm ihre Kritik an Kohl. Die Prawda, die in einer eigenen ausführlichen Kritik den Kohl Vergleich Gorbatschows mit dem Nazi–Propagandaminister im Unterschied zum Neuen Deutschland nicht direkt zitierte, sondern diese als „gröbste Ausfälle“ gegen die Sowjetunion „bis hin zu niederträchtigsten Parallelen mit dem Nazi–Deutschland“ charakterisierte, will offenbar mit ihren erneuten Angriffen deutlich machen, daß die sowjetische Führung Zweifel daran hegt, ob eine Kooperation mit der Kohl–Regierung überhaupt noch möglich ist. Bereits in der letzten Woche hatte eine Delegation der Grünen nach Gesprächen mit dem sowjetischen Außenminister Schewardnadse diesen mit der Bemerkung zitiert, daß Kohls Äußerungen „eine Beleidigung für jede sowjetische Familie seien“. Der grüne Bundesvorständler Norbert Kostedde, der letzte Woche ebenfalls mit in Moskau weilte, meinte, daß die sowjetischen Gesprächspartner den Eindruck haben, daß die Kohl– Regierung nach der Bundestagswahl noch massiver als bisher Teillösungen wie etwa die beim Reykjavik–Gipfel erzielte Nullösung bei den Mittelstreckenraketen torpedieren werde. mtm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen