Steinmeiers "Deutschland-Plan": Leuchtendes Ziel, unklarer Weg
Frank-Walter Steinmeier entwirft einen ambitionierten "Deutschland-Plan" und träumt von einem Land, das 2020 grüner, gerechter und produktiver als heute ist.
Die SPD hat offenbar aus der Europawahl gelernt - zumindest was die Dramaturgie des Wahlkampfs angeht. Bei der Europawahl im Juni, die für die SPD mit einer unerwarteten Niederlage endete, setzte die Partei erst auf "negativ campaining" und Angriffe auf die Konkurrenz und danach auf positive eigene Botschaften. Bei der Bundestagswahl soll die Reihenfolge umgekehrt sein. Im September wird sich die SPD auf Schwarz-Gelb einschießen. Nun, zum Wahlkampfbeginn und knapp sieben Wochen vor dem 27. September, hat Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier ein vollmundig "Deutschland Plan" betiteltes Konzept vorgestellt. Das knapp 70-seitige Papier "Die Arbeit von morgen" skizziert, wie bis 2020 vier Millionen neue Jobs und Vollbeschäftigung geschaffen werden. Mehr Öko in der Industrie, mehr Jobs in Dienstleistungsbranchen, so die zentrale Botschaft. Die SPD setzt dabei keineswegs auf einen staatlichen Masterplan oder Konjunkturprogramme. Der Deutschlandplan ist eher eine Mixtur aus Absichtserklärungen, detaillierten Zielen und teils luftigen Prognosen. Die Kritik der Union, dass die SPD eine Art Planwirtschaft anpeile, wirkt angesichts dieses Konzepts recht abseitig. Das Problem ist eher die Mischung aus hoch gestecktem Ziel und unverbindlicher Wegbeschreibung.
So sollen "etwa zwei Millionen neue Jobs" in Industrie und produktionsnahen Dienstleistungen entstehen. Weil Rohstoff und Energie gut 40 Prozent der Kosten in der Industrie ausmachen, müsse eine "Effizienzrevolution made in Germany" her. 2020 sollen 30 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Zu den Effizienztechnologien zählen auch Elektroautos, bei denen "Deutschland den industriellen Durchbruch schaffen" müsse. Die Mittel für dieses ambitionierte Ziel klingen allerdings mitunter kleinteilig. So sollen Taxiunternehmen und Firmen Anreize für den Kauf von Elektroautos erhalten. Griffiger klingt der Vorschlag, dass Bund, Länder und Kommunen, die jährlich 60 Milliarden Euro für öffentliche Beschaffungen ausgeben, gezielt Elektrowagen anschaffen und grüne Dienstleistungsanbieter unterstützen. Konkret durchdacht wirkt auch die Idee, mit Steuergutschriften gezielt die Forschungsausgaben mittelständischer Unternehmen zu fördern. Diese Ausgaben sind, so Steinmeier, auf nur drei Prozent gesunken, was der Innovationsfähigkeit langfristig schadet.
Wie allerdings eine halbe Million neue Jobs in der "Kreativwirtschaft", die von Architektur über Marketing bis zur Kunst reicht, und noch mal dieselbe Anzahl Jobs in anderen Dienstleistungsbranchen entstehen sollen, wirkt nicht zwingend argumentiert. In der Gesundheitswirtschaft rechnet die SPD sogar mit einer Million neuer Jobs - ohne dass deutlich wird, wie sich diese Zahl begründet und was außer "stärkerer regionaler Vernetzung von Ärzten, Krankenhäusern, Medizintechnik und Pharmaindustrie" dafür nötig ist. Bernd Schlüter, Vorstandsmitglied des Diakonischen Werkes, begrüßte Steinmeiers Idee, im Pflegebereich neue Stellen zu schaffen und durch die Bürgerversicherung Besserverdienende stärker an der Finanzierung zu beteiligen. Noch vor Kurzem, so die Diakonie, hätten Union und SPD die Forderung nach zusätzlichem Geld für die Pflege zurückgewiesen.
Ähnlich klingt auch die Kritik des neokeynesianischen Bremer Wirtschaftswissenschaftlers Rudolf Hickel. Besser als Ziele für 2020 zu entwerfen, sei es, kurzfristig Etappen zu benennen. Die Wirtschaft grün umzubauen, sei richtig - doch Steinmeier mache nicht klar, wie so zwei Millionen Arbeitsplätze entstehen sollten. So wachse "der Eindruck, hier hätte nur eine Werbeagentur Duftmarken gesetzt". Unklar, so Hickel, sei auch, woher im Gesundheitssektor eine Million Jobs kommen sollen.
Steinmeier verteidigte den Plan gegen Kritik aus der Union. Es gehe nicht um das "unseriöse Versprechen, dass der Staat vier Millionen Arbeitsplätze schafft", sondern um Ziele und die Bedingungen dafür. Der Plan sei der Versuch, "endlich aus dem abstrakten Krisengerede herauszukommen".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten