Kanzlerkandidat will Vollbeschäftigung: Der schizophrene Steinmeier
Steinmeiers Vollbeschäftigungs-Versprechen offenbart eine Schizophrenie: Politiker sollen an Jobs für alle glauben. Bloß nicht ernsthaft, das wirkt unglaubwürdig.
Woran denken Sie, wenn Sie das Wort "Vollbeschäftigung" hören? Viele Bürger werden Bilder vor Augen haben, die aus den 60er- oder 70er-Jahren stammen. Als das sogenannte Wirtschaftswunder den westdeutschen Arbeitsmarkt leer gesaugt hatte und die Anwerbung von Arbeitsmigranten zu einem Massenphänomen wurde. Damals, 1964, erlangte ein schüchterner Portugiese kurzzeitige Berühmtheit, als er als offiziell einmillionster "Gastarbeiter" bei seiner Ankunft in Köln mit einem Motorroller beschenkt wurde. Wie fern scheinen diese Welt und ihre Zukunftsfreude heute. Die SPD will diese Aufbruchstimmung nun wiederbeleben.
Am Montag stellte ihr Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier seinen "Deutschland-Plan" offiziell vor. Schon zuvor hatten politische Konkurrenten und Kommentatoren einander darin zu übertrumpfen versucht, dieses Vorhaben wahlweise als utopisch oder betrügerisch abzutun. Dermaßen fern scheint jenes Bild des unsicher lächelnden Portugiesen Armando Rodrigues de Sá, dass die offensiv vertretene Hoffnung auf eine Wiederkehr der Vollbeschäftigung als geradezu obszön gilt. Und damit sind wir mittendrin in einem Dilemma der SPD, ja der deutschen Politik insgesamt.
Einerseits erklärt nahezu jeder Politiker von SPD und Union, wenn er oder sie danach gefragt wird, Vollbeschäftigung sei machbar. Andererseits wollen die Bürger diesem Versprechen keinen Glauben schenken. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr erklärte die Bundeskanzlerin, das Erreichen dieses Ziels sei "mittelfristig realistisch". Auf ein Jahr wollte sie sich nicht festlegen. Diese Behauptung scheint ihrem Ansehen als beinharte Realistin nicht geschadet zu haben. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, urteilten doch zur selben Zeit bei einer Forsa-Umfrage über drei Viertel (77 Prozent) der Befragten, Deutschland müsse auch mittelfristig mit einer hohen Zahl von Arbeitslosen rechnen. Nur rund jeder Fünfte hielt selbst zur damaligen Boomzeit auf mittlere Sicht Vollbeschäftigung für realistisch.
Viele Wähler erwarten von ihren Repräsentanten einen schier unmöglichen Spagat: Sie sollen nüchterne Machtverwalter sein, aber bitte auch schöne Zukunftspanoramen malen, die die Fantasie anregen. Politiker sollen sich an den Realitäten orientieren, zugleich aber Hoffnungen aufrechterhalten, die die meisten Bürger selbst längst aufgegeben haben. Dieser meist unausgesprochene Konsens ist weit verbreitet unter Wählern und Gewählten. So ist es auch beim Thema Vollbeschäftigung.
Dass der spröde Realist Frank-Walter Steinmeier nun diese Hoffnung offensiv für erfüllbar erklärt, irritiert Konkurrenten wie Bürger. Denn allzu offensiv sollte dieser Glaube bitte schön nicht vertreten werden. Das gilt schnell als realitätsfremd oder glatte Lüge. Im "Deutschland-Plan" steht: "In zehn Jahren wollen wir stolz sagen können: Wir haben Vollbeschäftigung erreicht." Wer wagt noch, diese Zuversicht zu teilen?
Zugegeben, solche Worte klingen auch deshalb unrealistisch, weil die Wähler nicht vergessen haben, aus wessen Feder sie stammen. Als Kanzleramtschef unter Gerhard Schröder formte Steinmeier vor bald sieben Jahren die "Agenda 2010", die Vollbeschäftigung gar bis zum Ende dieses Jahrzehnts versprach. Das Ergebnis ist bekannt. Auch stimmt die spöttische Frage: Seit elf Jahren regiert die SPD mit, warum fällt ihr da erst sieben Wochen vor der Bundestagswahl ein, dass sie einen tollen Plan für die Zukunft hat? Doch, wie gesagt: Politiker fast aller Couleur propagieren ähnliche Ziele. Die Union sowieso, aber auch die Grünen, die bis 2020 eine Million neue Jobs schaffen wollen. Ähnlich die Linkspartei, die zwei Millionen anpeilt.
Ironischerweise könnte die einzige langfristige Folge der wieder angefachten Debatte über das alte Ideal der Vollbeschäftigung sein, dass eine Diskussion über ein jüngeres Ideal verdrängt wird: die über das Grundeinkommen. Wer Jobs für alle wieder als machbar und wünschenswert propagiert, für den erübrigen sich solche Forderungen. Bricht diese gedankliche Alternative weg, bleibt den Parteien und ihren Wähler nichts anderes, als tatsächlich ans Vollbeschäftigungsversprechen zu glauben.
Leser*innenkommentare
saalbert
Gast
Nicht einmal für einen vom Autor genannten "Motorroller" hat es als Geschenk gereicht. Es handelte sich um ein zweisitziges Moped der Marke Zündapp.
Nigredo
Gast
Vielleicht sollte der Autor nicht auch noch bei diesem gegenseitigen Überbieten mitmachen und lieber mal den eigenen Verstand benutzen.
Steinmeier hat nicht einen einzigen Arbeitsplatz versprochen, er hat bloß dargelegt, dass es auf diesem Wege möglich wäre - was für einen Vertreter der Gattung homo sapiens sapiens leicht zu unterscheiden sein dürfte.
Und überhaupt: "Kanzlerkandidat will Vollbeschäftigung"
Na wer denn bitte nicht?? Nunja, vielleicht wäre der ein oder andere Journalist in der Arbeitslosigkeit doch besser aufgehoben...
Stefan
Gast
Naja, die einzigen eventuell erfolgreichen Strategien zur Vollbeschäftigung (nebenbei: hätte ja auch keinen Sinn, wer kann denn schon arbeiten?) sind ja strafrechtlich von der Diskussion ausgenommen. Oder?
Nichtlöschung wird als Gegenbeweis anerkannt ...
Marco Naujokat
Gast
Ich konnte das am Freitag kaum glauben...
Steinmeier ist nicht allein. Alle Mainstream-Parteien von CSU bis Linkspartei erklären Vollbeschäftigung mehr oder weniger offen zum Ziel.
Wir haben 2009, nicht 1959!
Dr. Harald Wenk
Gast
Statt des pathologisierenden "schizophren" wäre
leider fast "üblich" zu setzen, weil diese Konstallation: Man hat ein "Ideal", das stark das eigene Handeln bestimmt, von dem man genau weiß:
Es mit der Wirklichkeit ziemlich wenig zu tun, gerade wegen des Pilotproblems Wirtschaft recht "üblich" geworden ist.
Wir hatten einmal Vollbeschäftigung, weshalb ist sie verlorengegangen?
Nun, die "natürliche" Lösung, die Segnungen,insbesondere die Arbeitsersparnis, durch immer beschleunigteren technischen Fortschritt möglichst gleichmäßig
auf die Bevölkerung zu verteilen, ist eben konsequent durch "mittelfristige" jeweilige betonharte Interessensverteidigung sabotiert worden.
Da die Maschinen dabei strukturell gegen die Beschäftigten "arbeiten", was ihre Interessen angeht, verschlechtern sich deren Aussichten beim "Buissness as Usual" immer mehr.
Diesem mehr als beotonharten ökonomischen Lauf der Wirtschaft ist durch "Idealsetzung" kaum beizukommen. Das ist ist seit gut 30 Jahren so offensichtlich, dass mehr oder minder Ignoranz, wie sie im Artikel Steinmeiers Programm zugeschrieben, ein gewisses Mass an Unglaubwürdigkeit "ausstrahlt".
Statt bewußter Gestaltung des Fortschritts und eine strukturell gesicherte "WinWinWiN" Situation für ihn hat man
unkontrollierte Finanzmarkthypaertrophie asl "Steuerung" und
immer weniger finanzilen Spielraum für den strukturiert handelnd könnenden Staat.
Die resultierende, durchaus realistischen Zukunfst- und ökonomischen Existenzängste,
mittlerweile fast schon zu eigenen kulturellen und sozialen Gebilden und Strömungen geronnen,
lassen sich ohne die oben erwähnte "natürliche" Lösung in einigermaßen praktischen Massnahmnen wie Verstaatlichung des Finanzsektores und Verkürzung der Arbeitszeit kaum real beruhigen.
Ungeeignete Rettungsmittel verstärken die Realangst.
steinmeise
Gast
Das Wahlkampf-Voodoo in allen Ehren, aber was Steinmeier da aus dem Hut zaubern will, ist einfach nur unverschämt. Eine halbe Million Arbeitsplätze in der Kreativbranche, dass ich nicht lache. Die ganzen Menschen, die damals mitten in der dotcomkrise auf mediengestalter umgeschult wurden, können ein lied davon singen. 4 Mio. klingt halt gut, "weisste Frank-Walter, da sagst du noch was von der Kreativbranche, da können sich die meisten eh nix drunter vorstellen, sagen wir mal noch 1/2 Million Jobs, das klingt gut und da freuen sich die Leute."
Warum nicht eine halbe Million Arbeitsplätze in der Politik? Das wär doch mal was. Die können dann ja auch alle KanzlerIn werden. Dann verdient halt der einzelne Kanzler nicht mehr so viel, aber für die Vollbeschäftigung muss man halt Opfer bringen.
Hansjuergen
Gast
So ein nichts-aussagender Artikel. Ich unterstell' dem Autor selbst Schizophrenie. Kann die taz ihre Artikel nicht gründlicher auf Qualität prüfen?
saalbert
Gast
Nicht einmal für einen vom Autor genannten "Motorroller" hat es als Geschenk gereicht. Es handelte sich um ein zweisitziges Moped der Marke Zündapp.
Nigredo
Gast
Vielleicht sollte der Autor nicht auch noch bei diesem gegenseitigen Überbieten mitmachen und lieber mal den eigenen Verstand benutzen.
Steinmeier hat nicht einen einzigen Arbeitsplatz versprochen, er hat bloß dargelegt, dass es auf diesem Wege möglich wäre - was für einen Vertreter der Gattung homo sapiens sapiens leicht zu unterscheiden sein dürfte.
Und überhaupt: "Kanzlerkandidat will Vollbeschäftigung"
Na wer denn bitte nicht?? Nunja, vielleicht wäre der ein oder andere Journalist in der Arbeitslosigkeit doch besser aufgehoben...
Stefan
Gast
Naja, die einzigen eventuell erfolgreichen Strategien zur Vollbeschäftigung (nebenbei: hätte ja auch keinen Sinn, wer kann denn schon arbeiten?) sind ja strafrechtlich von der Diskussion ausgenommen. Oder?
Nichtlöschung wird als Gegenbeweis anerkannt ...
Marco Naujokat
Gast
Ich konnte das am Freitag kaum glauben...
Steinmeier ist nicht allein. Alle Mainstream-Parteien von CSU bis Linkspartei erklären Vollbeschäftigung mehr oder weniger offen zum Ziel.
Wir haben 2009, nicht 1959!
Dr. Harald Wenk
Gast
Statt des pathologisierenden "schizophren" wäre
leider fast "üblich" zu setzen, weil diese Konstallation: Man hat ein "Ideal", das stark das eigene Handeln bestimmt, von dem man genau weiß:
Es mit der Wirklichkeit ziemlich wenig zu tun, gerade wegen des Pilotproblems Wirtschaft recht "üblich" geworden ist.
Wir hatten einmal Vollbeschäftigung, weshalb ist sie verlorengegangen?
Nun, die "natürliche" Lösung, die Segnungen,insbesondere die Arbeitsersparnis, durch immer beschleunigteren technischen Fortschritt möglichst gleichmäßig
auf die Bevölkerung zu verteilen, ist eben konsequent durch "mittelfristige" jeweilige betonharte Interessensverteidigung sabotiert worden.
Da die Maschinen dabei strukturell gegen die Beschäftigten "arbeiten", was ihre Interessen angeht, verschlechtern sich deren Aussichten beim "Buissness as Usual" immer mehr.
Diesem mehr als beotonharten ökonomischen Lauf der Wirtschaft ist durch "Idealsetzung" kaum beizukommen. Das ist ist seit gut 30 Jahren so offensichtlich, dass mehr oder minder Ignoranz, wie sie im Artikel Steinmeiers Programm zugeschrieben, ein gewisses Mass an Unglaubwürdigkeit "ausstrahlt".
Statt bewußter Gestaltung des Fortschritts und eine strukturell gesicherte "WinWinWiN" Situation für ihn hat man
unkontrollierte Finanzmarkthypaertrophie asl "Steuerung" und
immer weniger finanzilen Spielraum für den strukturiert handelnd könnenden Staat.
Die resultierende, durchaus realistischen Zukunfst- und ökonomischen Existenzängste,
mittlerweile fast schon zu eigenen kulturellen und sozialen Gebilden und Strömungen geronnen,
lassen sich ohne die oben erwähnte "natürliche" Lösung in einigermaßen praktischen Massnahmnen wie Verstaatlichung des Finanzsektores und Verkürzung der Arbeitszeit kaum real beruhigen.
Ungeeignete Rettungsmittel verstärken die Realangst.
steinmeise
Gast
Das Wahlkampf-Voodoo in allen Ehren, aber was Steinmeier da aus dem Hut zaubern will, ist einfach nur unverschämt. Eine halbe Million Arbeitsplätze in der Kreativbranche, dass ich nicht lache. Die ganzen Menschen, die damals mitten in der dotcomkrise auf mediengestalter umgeschult wurden, können ein lied davon singen. 4 Mio. klingt halt gut, "weisste Frank-Walter, da sagst du noch was von der Kreativbranche, da können sich die meisten eh nix drunter vorstellen, sagen wir mal noch 1/2 Million Jobs, das klingt gut und da freuen sich die Leute."
Warum nicht eine halbe Million Arbeitsplätze in der Politik? Das wär doch mal was. Die können dann ja auch alle KanzlerIn werden. Dann verdient halt der einzelne Kanzler nicht mehr so viel, aber für die Vollbeschäftigung muss man halt Opfer bringen.
Hansjuergen
Gast
So ein nichts-aussagender Artikel. Ich unterstell' dem Autor selbst Schizophrenie. Kann die taz ihre Artikel nicht gründlicher auf Qualität prüfen?