■ Massumeh Ebtekar, iranische Vizepräsidentin und Umweltbeauftragte, will neue Freiräume für die Frauen in ihrem Land erkämpfen, andererseits aber „westliche Entartung“ vermeiden. Ein Interview von Michael Wrase: „Steinigen ist nicht mehr die Norm“
Wird sich das Los der iranischen Frauen nach dem Regierungswechsel verbessern? Wenn es nach Massumeh Ebtekar geht, ja. Sie ist die einzige Frau unter den sieben Stellvertretern des neuen Staatspräsidenten Mohammad Chatami, seine persönliche Umweltbeauftragte und die ranghöchste Politikerin seit Chomeinis Revolution von 1979. Doch auch die studierte Immunologin findet, daß der Ehebruch von Frauen besonders bestraft werden muß.
taz: Nach dem Erdrutschsieg von Präsident Chatami im Frühjahr dieses Jahres herrschte im Iran Volksfeststimmung. Was ging Ihnen durch den Kopf, als sein Sieg verkündet wurde?
Ebtekar: Eine gewaltige Umwandlung unserer Gesellschaft hat stattgefunden, ein neues Zeitalter war angebrochen.
Was waren die Gründe für diesen Sieg und die das konservativ-klerikale Lager geradezu demütigende Niederlage?
Der wichtigste Grund für den Erfolg Chatamis war seine eindeutige Politik im kulturellen Bereich. Ganz besonders seine Haltung gegenüber Frauen und Jugendlichen, denen er besondere Aufmerksamkeit widmet.
Im Iran und im Ausland haben Beobachter den Sieg von Chatami mit einer „zweiten Revolution“ verglichen.
Das hängt davon ab, aus welchem Blickwinkel Sie es betrachten: Aus wirtschaftlichem oder kulturellem Blickwinkel. Ich habe das Gefühl, daß jetzt ein neues Zeitalter angebrochen ist. Der Erfolg von Herrn Chatami war mehr als ein Wahlsieg: Es war ein Volksentscheid. Die Menschen haben für ein neues System von Ideen und Gedanken gestimmt.
Präsident Chatami wollte zunächst auch Frauen zu Ministerinnen ernennen, stieß dabei jedoch auf Widerstand des konservativen Lagers. Konvervative Mullahs lehnten die Ernennung von Frauen unter anderem mit dem Argument ab, daß Frauen die Erlaubnis ihrer Männer benötigen, wenn sie ins Ausland reisen wollen. Wäre es nicht an der Zeit, derartige Gesetze zu ändern?
Herr Chatami hatte zunächst weibliche Kandidaten für fast alle Ministerien vorgeschlagen. Doch es war wahrscheinlich etwas zu früh, Frauen zu Ministerinnen zu ernennen. Das von Ihnen angesprochene Reisegesetz kann man nur verstehen, wenn man die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Familie im Islam betrachtet: Im Islam ist die Familie ein rechtlicher, moralischer und sozialer Vertrag zwischen Mann und Frau. Die Unversehrtheit und Heiligkeit der Familie hat absolute Priorität. Der Mann ist ökonomisch für die Familie verantwortlich und hat für die Unversehrtheit ihrer Mitglieder zu sorgen. Deshalb benötigt eine Frau die Erlaubnis ihres Mannes für Auslandsreisen, was in der Regel im gegenseitigen Einvernehmen gelöst wird. Probleme treten nur bei Konflikten auf.
Welche Impulse können die wenigen Frauen der Regierung Chatamis verleihen? Was werden Sie durchsetzen, als einsame Kämpferin zwischen vielen Männern?
(lacht): Die Voraussetzungen dafür sind da. Iranische Frauen sind hervorragend ausgebildet und in verschiedensten Bereichen auf dem Vormarsch: als Lehrerinnen, als Wissenschaftlerinnen. Es gibt in unserer Gesellschaft eine sehr starke Unterstützung für Frauen in der Politik. Vor diesem Hintergrund sollten Frauen keine Schwierigkeiten haben, ihre Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen.
Sie waren in den letzten Jahren vor allem in Frauenangelegenheiten engagiert. Was erwarten iranische Frauen von iranischen Politikerinnen?
Die Erwartungen der iranischen Frauen orientieren sich an einem islamischen Modell, welches sich ganz gewaltig von dem Bestehenden unterscheidet. Iranische Frauen müssen in der Lage sein, auf die Anforderungen und Herausforderungen einer modernen Gesellschaft zu antworten. Das von uns angestrebte Modell ist nicht nicht das einer rückständigen, sondern das einer modernen Frau, die nach menschlicher Würde und nach einem ihr gebührenden Rang in Familie und Gesellschaft strebt.
Doch da scheint es noch Probleme zu geben. Viele konservative Geistliche berufen sich auf Koranverse, in denen es heißt, daß Männer über den Frauen stehen. Sie argumentieren, daß es Frauen verboten ist, über Männer zu richten, Frauen seien dafür zu sensibel. Bis diese Vorurteile aus der Welt sind, wird wohl noch viel Zeit vergehen?
(lacht) Auch im Islam gibt es den Faktor der Dynamik. Differenzen zwischen den verschiedenen Fraktionen der Geistlichkeit wird es realistischerweise immer geben. Diejenigen, die heute über die Umsetzung des Islam in der Regierung nachdenken, sind jedoch Pragmatiker und Realisten.
Heißt das, daß sich Realisten und Pragmatiker wie Sie, Frau Ebtekar, für Frauen als Richterinnen einsetzen werden?
Ischtehad [die zeitgemäße Auslegung des Korans und anderer islamischer Schriften, d. Red.] ist sehr wichtig. Und unter den Richtern in unserem Land gibt es bereits viele, die sich für Frauen als Richterinnen einsetzen. Andere wiederum glauben, daß sie mit ihrer Weigerung Frauen eine hohe Verantwortung abnehmen, im schlimmsten Fall die über Leben und Tod.
Sie sprechen von einer zeitgemäßen Auslegung des Korans. Dennoch werden im Iran noch immer Ehebrecherinnen gesteinigt. Die Aussage einer Frau zählt nur halb soviel wie die eines Mannes. Werden Sie sich für eine Änderung dieser unzeitgemäßen, mittelalterlichen Gesetze einsetzen? Zum Beispiel auch im Familienrecht, welches nach der Scheidung die Kinder automatisch dem Mann zuspricht?
Glücklicherweise wurden in den letzten Jahren bereits einige Gesetze modifiziert. Wenn heute ein Mann die Scheidung verlangt, muß er die Frau für ihre während der Ehe geleistete Arbeit angemessen entschädigen. Deshalb überlegen sich viele Männer im Gegensatz zu früher sehr genau, ob sie tatsächlich die Scheidung wollen. Andere Gesetzesänderungen stehen uns noch bevor. Noch wichtiger ist die Erziehung der iranischen Frauen. Sie müssen verstehen lernen, daß ihre Stellung im Islam keinesfalls eine untergeordnete ist. Weder in der Familie noch in unserer Gesellschaft steht der Mann über der Frau.
Erst im letzten Monat wurde in einem iranischen Dorf eine Frau, der man Ehebruch vorwarf, gesteinigt. Ist es nicht an der Zeit, gegen solche Barbarei vorzugehen?
Die Heiligkeit der Familie ist für uns entscheidend – im krassen Gegensatz zum Westen, wo man sich für die individuellen Rechte einsetzt. Viele der Probleme, mit denen westliche Gesellschaften konfrontiert sind, haben ihren Ursprung in der Vernachlässigung der Familie. Das führte zu einer Destabilisierung der westlichen Gesellschaft, in der voreheliche und außereheliche Beziehungen an der Tagesordnung sind.
Dennoch ist die Steinigung von Ehebrecherinnen durch nichts zu rechtfertigen. Stimmen Sie mir da zu?
Im islamischen Rechtssystem ist Steinigen nicht mehr die Norm. Glücklicherweise lehnen es auch die meisten Richter ab, Menschen zum Tod durch Steinigung zu verurteilen. Ich persönlich bin für Bestrafung, aber bei der Form und der Bemessung eines Strafmaßes müssen auch psychologische Fragen und die Rechte der Gesellschaft berücksichtigt werden. Wenn die Normen des Familienrechts gebrochen werden, bringt das enorme Komplikationen, schwerwiegende Konsequenzen für die ganze Gesellschaft mit sich. Im Westen hat die moralische Entartung gewaltige Ausmaße angenommen: Verbrechen, Gewalt, Drogenabhängigkeit. Wir im Iran wollen nicht in diese Falle gehen.
Auch im Iran sind viele Jugendliche drogenabhängig, andere sehen MTV, lieben Michael Jackson und gehen in illegale Diskotheken.
(unterbricht) Wir haben diese Probleme.
Sind diese Probleme die Folge von 15 Jahren konservativer Herrschaft?
Wir haben jetzt eine gute Gelegenheit, Fehler zu korrigieren. Nun hat ein neues Zeitalter begonnen, und ich denke, daß sich nun vieles verändern wird.
Fürchten Sie sich nicht vor dem Gegenangriff der Konservativen?
Nein, nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Die Unterstützung der Bevölkerung [für Chatami, d. Red.] ist gewaltig. Da gibt es keinen Platz für Konterattacken. Allerdings haben die Konservativen das Recht, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen.
Die radikalen iranischen Hisbollahs haben vor kurzem die Redaktionsräume der Zeitung „Iran Farda“ verwüstet, die Redaktion verprügelt.
Wenn diese Leute gegen das Gesetz verstoßen, ist das inakzeptabel. Sie werden sich in Zukunft an das Gesetz halten müssen. Dafür hatte sich Präsident Chatami während seines Wahlkampfes eingesetzt, und deshalb wurde er gewählt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen