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Steiermark-GroteskeFinger springt in Eipanade

Was den Hühnern ihr Futter, ist den Menschen ihr Backhendl: "Der Knochenmann" (Panorama Special), eine wunderbare Steiermark-Groteske von Wolfgang Murnberger.

Life is Life: Birgit Minichmayr und Josef Hader in "Der Knochenmann". Bild: berlinale/petro domenigg/filmstills.at

Das österreichische Backhendl, wie es im Gasthaus Löschenkohl zart knusprig auf dem Teller liegt, birgt an menschlicher Versautheit so gut wie alles. Erst wird es mit dem Knochenmehl seiner Vorgänger gemästet, dann geschlachtet und gevierteilt, außerdem im Ei gedreht und gewendet und schließlich, bis auf die Knochen abgenagt, für die nächste Hendlgeneration zermahlen. Ein kannibalischer Kreislauf, der sich in "Der Knochenmann" in stiller Gleichzeitigkeit zu den menschlichen Schlachtungen vollzieht. Wer nicht aufpasst, kann ganz unverhofft am Fleischerhaken hängen und zu Mehl werden und damit zu dem, was den Hühnern ihr Futter und den Menschen ihr Backhendl ist.

Ein Gasthaus in der Steiermark, mit eigener Fleischerei und legendärer Grillstation, ist Schauplatz im neuen Film von Wolfgang Murnauer. Es ist nach "Komm, süßer Tod" und "Silentium" der dritte, der einen der berüchtigten Detektivromane von Wolf Haas adaptiert. Josef Hader gibt den Brenner. Der will eigentlich schon lange kein Detektiv mehr sein, dem immer nur Ekel serviert wird. Weil er stattdessen die Autos von insolventen Besitzern einkassiert, gerät er genau dorthin, wo man gerade besonders viel aufträgt. Mit weit offenen Augen, die denen eines armen Huhns nicht unähnlich sind, folgt er Birgit, der Kellnerin und unglücklich verheirateten Schwiegertochter des Wirts (Birgit Minichmayr). Und es wird klar, dass er, Brenner, dem immer das Falsche aufgetischt wurde, noch immer Hunger verspürt. Am liebsten möchte er nur von Birgit mitgenommen werden, egal wohin. Nur führt das nicht immer am Schlachtraum vorbei.

In gespenstischer Gleichmut erledigt der Wirt (Josef Bierbichler), was zu erledigen ist. Zuerst ist es nur ein menschliches Bedürfnis, eines, das sich im Bordell befriedigen lässt; ein Erpresser (Stipe Erceg), ein Totalversager als Sohn (Christoph Luser) und andere Verwicklungen führen den Wirt bald öfter als sonst in den Schlachtraum. Haas, Hader und Murnauer, alle drei beste Kenner der österreichischen Verhältnisse, wissen zu gut, wie harmlos sich das Abgründigste gibt und wie unschuldig das Bösartigste auftreten kann. Wer hier tötet, tut es ein bisschen arglos. Bezeichnenderweise sind die einzig typischen, also mit Absicht bösen Figuren im Film jene, die getötet werden.

Jede Szene ist eine zweischneidige Sache, sie lässt einen aufheulen und auflachen zugleich - manchmal rührt sie außerdem noch zu Tränen. Der abgehackte Finger Brenners springt in die Eipanade. Wenn dann Birgit beherzt ins verquirlte Ei greift, um ihm den Finger zurückzubringen, kann es für Brenner keine schönere Liebeserklärung geben.

Die wunderbaren Grotesken, die aus der massenhaften Gleichzeitigkeit des Ungleichen hervorschießen, lassen alles Unerträgliche ein wenig auffliegen. Und dass alles ein wenig unerträglich ist, daran lässt der Film keinen Zweifel. Mit brachialer Wucht wird beim Maskenball zu "Life is Life" getanzt, der Alte Wirt versinkt traurig am Teich, die Frau, für die er sich sogar Schwellkörper transplantieren lässt, entdeckt ihr Glück beim Entertainer, im Keller baumeln Körper an Fleischerhaken, und im Zimmer dürfen endlich auch Brenners Schwellkörper aufgehen, nur gehen sie tragischerweise auch gleich mit ihm durch.

Nichts steht für sich allein da, sondern greift ineinander über und läuft doch unbehelligt nebeneinander her. Und so doppelbödig jedes Bild durch einen rasanten Schnitt seinen Gegenpart erfährt, so doppelzüngig schön sind auch die Dialoge. Die zergehen wie Zartbitterschokolade auf der Zunge. "Ich hoff nicht, dass du anrufst", sagt Birgit zum Abschied, und Brenner erwidert: "Ich hoff nur, dass du nicht abnimmst."

"Der Knochenmann", Regie: Wolfgang Murnberger. Mit Josef Hader, Josef Bierbichler, Birgit Minichmayer. Österreich 2008, 121 Min.

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