piwik no script img

Stehen, laufen, denken

In „Walk / Don’t Walk“ fragt der Dokumentarfilmer Thomas Struck Passanten in New York, ob sie ihre Füße mögen

Sie kommen aus Hoboken, Williamsburg, Brooklyn oder Queens. Sie sind Dienstleister und Arbeiter, Rechtsanwälte und Broker, Musiker und Hochschullehrer. Täglich fahren ein paar Millionen zur Schicht nach Manhattan – und mit ihnen doppelt so viele Füße. Und mit den Füßen noch mal Millionen von Schuhen. Warum nicht einen Film darüber machen?

Ja, warum nicht. Auf die Idee ist der Hamburger Filmemacher Thomas Struck gekommen, der schon in den Sechzigerjahren eine Dokumentation über „Akoholismus in Norddeutschland“ fürs Fernsehen drehte, danach mit Marquard Bohm „Hans im Glück“ verfilmte und zuletzt hauptsächlich mit Zeichentrick beschäftigt war. Andererseits hat Struck auch etwas für Spektakel übrig. 1997 inszenierte er die Performance „Sex Surreal“ auf der Toilette des Berliner Praters. In „Walk / Don’t Walk“ überschneiden sich all diese Interessen: Denn vom gefilmten paar Pumps, die über den Broadway stöckeln, ist es nur ein kleiner Schritt zu Fußfetischfantasien und der daran angeschlossenen Erotikindustrie. Entsprechend begeistert heftet sich der Filmemacher mit seiner Kamera, die stets knapp über dem Boden schwebt, an die Fersen von Dian Hanson, die als New Yorks Leg Show Queen gilt und eine Agentur für Fußmodelle betreibt.

In ihrem Büro darf er dann zuschauen, wie sich junge Frauen in exklusiven Strümpfen und Strapsen räkeln oder wie sie mit ihren hochhackigen Schuhen zu Magazin-Pin-ups für sehr spezielle Ansprüche verschmelzen. Fast wie in einer Pro7-Reportage oder bei „Liebe Sünde“. Der Hamburger Filmförderung hat Strucks Idee trotz der expliziten Bilder gefallen. Vielleicht war aber auch der Klarinettist Don Byron der eigentliche Joker, der für den Film eine sehr waghalsige Mischung aus Bossa, Blue Notes und Klezmer als Soundtrack eingespielt hat. So groovt man immer ein wenig im Kinosessel mit, während die vielen Füße durch New York wandern.

Immer wieder setzt Struck den Musiker am Rande des Geschehens in Szene und fragt ihn, was er von den klasse Beinen hält, die gerade an ihm vorbeigewandert sind. Richtig aufregend findet Byron die sexy legs zwar nicht, dafür gefällt ihm die Vorstellung, dass jedes Individuum seinen eigenen Gang hat. Das ist für Byron ein Zeichen von Multikulturalität, die in New York wörtlich vom Kopf auf die Füße gestellt sei. Natürlich sind auch für Struck die Füße meistens nur ein willkommener Anlass, um mit den Menschen in New York ins Gespräch zu kommen: Sage mir, wie du gehst, der Rest findet sich schon. So wird im Central Park mit einer älteren Dame, die aus Österreich stammt, über gesundes Schuhwerk geplaudert.

Ein Afrikaner-Amerikaner lobt die Vorzüge des „Hipwalk“ der Schwarzen, andere klagen über Schmerzen in den Beinen, weil sie den ganzen Tag unterwegs sind – Polizisten zum Beispiel. Und von Dian Hanson erfährt Struck einiges über Fußschweiß, der sexuell stimulierend wirken soll, da er an den Geruch erinnert, den die Genitaldrüsen absondern. Langweilig wird dieses Bilderessay über die Ästhetik des aufrechten Gangs nie. Verblüfft nimmt man zur Kenntnis, dass in New York offenbar jeder ein ziemlich gutes Verhältnis zu seinen unteren Extremitäten hat – Männer mögen lackierte Fußnägel, Frauen interessieren sich mehr dafür, in welchen Schuhen sie am besten tanzen können.

Manchmal werden auch modische Fragen aufgeworfen – soll man wieder Plateaus tragen wie in den Siebzigerjahren? Passen Slipper besser zu Shorts oder zum Anzug? Dutzende von Passanten finden so zu einer Momentaufnahme über das Leben in New York zueinander.

Die schönsten Bilder kommen allerdings am Schluss: Zum Start ins neue Millennium hat Struck um Mitternacht den New Year’s Marathon gefilmt, bei dem die ganze Stadt auf den Beinen war. Selbst Transvestiten sind zum Start ins neue Jahrtausend mitgelaufen. Auf Stöckelschuhen, versteht sich. HARALD FRICKE

„Walk / Don’t Walk“, R: Thomas Struck. Musik: Don Byron; D 2001, 60 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen