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Stefan Mahlke übrigensDas Leben ist zu kurz, um schlechten Fußball zu sehen

Foto: Elke Seeger

Am besten, ich sag’s gleich. Ich trenn mich. Vom BVB. Hab dem Ballspielverein 09 Borussia Dortmund lange genug die Stange gehalten. Um mir das Gekicke weiter anzutun, dazu bin ich viel zu opportunistisch.

Das war schon zu Ostzeiten so, als ich sogar mal Fan des BFC Dynamo war. Das war der Stasiklub, mit Stasichef Erich Mielke auf der Tribüne. Ich hätte auch zum 1. FC Union gehen können, aber der dümpelte meist in der 2. Liga rum. Der BFC spielte den besseren Fußball. Warum schlechten Fußball gucken, wenn’s auch anders geht? Ich war jung und brauchte den Kick. Später wechselte ich zu Dynamo Dresden oder zum 1. FC Magdeburg – wie es grad passte.

Bin eh kein Stadiongänger. Im Novemberregen bei 3 Grad entspannt Fußball gucken – wie soll das gehen? Und hat nicht schon Umberto Eco gesagt, Fußball sei wunderbar, Fußballfans seien schrecklich?

„Der Opportunismus bezeichnet die zweckmäßige Anpassung an die jeweilige Lage“, steht bei Wikipedia. Das trifft’s doch gut. Und kann überlebenswichtig sein. So sind etwa Leoparden opportunistische Jäger. Zu ihren Beutetieren zählen Antilopen und Warzenschweine, aber auch Krebse und Käfer. Wie es grad passt. Opportunismus spart Schmerzen, man denke an Galilei, der, als ihm die Folterinstrumente gezeigt wurden, seine Thesen widerrief.

Weil in jedem Fußballfreund ein subkutaner Hang zum Fansein existiert, blieb ich nach der Wende beim BVB hängen. Immerzu wechseln ist auch anstrengend. Allerdings machte ich von dort immer mal wieder Ausflüge, etwa zum FC Chelsea (wo Michael Ballack spielte) oder später zu Real Madrid (Toni Kroos). Das hält einen beweglich, flexibel. Außerhalb der Bundesliga konnte ich sogar den Bayern die Daumen drücken – wenn sie guten Fußball spielten.

Stefan Mahlke

ist Germanist und Historiker und verantwortlicher Redakteur des „Atlas der Globalisierung“ von „Le Monde diplomatique“, der von der taz herausgegeben wird.

Was aber niemals ging, war, Bayern-Fan zu werden. Als BVB-Anhänger konnte man immer noch einen Rest von Underdog-Image pflegen. Mit der Spielkultur der Schwarz-Gelben ging es zuletzt allerdings rapide bergab. Jetzt spielen die Aspirinis von Leverkusen, wie die Griechen sie zärtlich nennen, den schönen Fußball.

Opportunismus spart auch Schmerzen, man denke nur an Galilei

Pillenklub schimpfen ihn die Traditionalisten. Aber möchten wir in einer Welt leben, in der es nur Traditionsvereine gibt? Und reicht es nicht, dass ich schon seit Jahrzehnten dieselbe Partei wähle? Das Leben ist zu kurz, um schlechten Fußball zu sehen.

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