Stefan Hunglingersichtet die sozialen Bewegungen der Stadt:
Imagination, Einbildungskraft: das ist nicht einfach etwas Privates, nicht zwingend eine individuelle Fluchtmöglichkeit aus dem tristen Alltag.
Eine radikale, eine kollektive Imagination kann geschichtsmächtig werden, das ist nicht zuletzt vom politischen Philosophen Cornelius Castoriadis zu lernen. Imaginationen sind auch das Geschäft der Filmkunst, des Kinos und damit der 70. Berlinale, die am 20. Februar beginnt. Gute Filme greifen die Realität auf, entwerfen aber auch das Neue, Offene, noch nicht Determinierte. Obwohl die Internationalen Filmfestspiele Berlin weitgehend das Etablierte repräsentieren, kapitalistisch organisiert sind und ihre NS-Vorgeschichte längst nicht aufgearbeitet wurde, bricht sich selbst hier stellenweise die radikale Imagination Bahn.
„Ouvertures“ (Forum) von Jude Joseph, Jephté Carmil und James Fleurissaint etwa ist ein Experiment des kollektiven Filmemachens, das den Sklavenaufständen nachgeht, die schließlich zur Haitianischen Revolution führten. Die von Pier Paolo Pasolini produzierte Komödie „Ostia“ (Forum 50) und Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (Forum 50) bringen historische Beispiele radikaler Imagination.
Doch auch jenseits des kommerziellen Berlinaletreibens, in den Freiräumen der Bewegung ist sie zu finden, die radikale filmische Imagination. In der Wagenburg Lohmühle etwa wird die Regisseurin Özlem Sariyildiz ihren Film „Instanbul Makami/Istanbul Notes“ zeigen und diskutieren. Von Montreal aus, von Sofia, New York, Salives und Palermo aus machen sich darin fünf Geschichten auf den Weg, die in Istanbul aufeinandertreffen (20. 2., 19.30 Uhr, Lohmühlenstr. 17).
In der Reihe „Kino der Befreiung“ geht Pino Solanas Film „Memoria del saqueo – Chronik einer Plünderung“ den katastrophalen Auswirkungen der Globalisierung am Beispiel lateinamerikanischer Kontexte nach. Solanas schreibt hier, die Realität intensiv betrachtend, die Geschichten fort, von denen auch seine Spielfilme handelten. (23. 2., 19 Uhr, Kinzigstr. 9)
In Ingmar Bergmans Klassiker „Persona“ von 1966 verharrt eine berühmte Schauspielerin schweigend in ihrer Rolle. Die Krankenschwester Alma kümmert sich um die apathische Künstlerin. Während die eine schweigt, erzählt die andere und offenbart so ihr Innerstes, bis hin zur Abhängigkeit (25. 2., 19.30 Uhr, Kastanienallee 85).
Filme aus der Berliner Hausbesetzer*innenszene der 80er Jahre gibt es dagegen im Projektraum H48 zu sehen (25. 2., 20 Uhr, Hermannstraße 48). Besonders hier wird deutlich: die radikale Imagination – sie ist auf Praxis ausgerichtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen