Stefan Hunglinger hat in die linke Sammlungsbewegung reingehört: Aufstehen fällt schwer
Man muss linke Mehrheiten nutzbar machen, dafür braucht es Abende wie diesen“, sagte Kevin Kühnert (SPD) am Mittwoch im ziegelroten Gemeinschaftshaus Lichtenrade. Etwa 300, vor allem ältere Menschen aus dem südlichen Tempelhof-Schöneberg, aber auch aus anderen Ecken Berlins waren gekommen, um den momentan wahrscheinlich prominentesten Sohn Lichtenrades mit Sahra Wagenknecht (Die Linke) diskutieren zu hören.
Linke Mehrheiten über Parteigrenzen hinweg nutzbar zu machen, war auch das Ziel mit dem Wagenknechts Sammlungsbewegung Aufstehen im Sommer 2018 an den Start gegangen – und krachend gescheitert ist.
Doch Aufstehen will weder die eigene Existenz, noch die Utopie eines Linksrucks im Land aufgeben. Dafür muss man die in der Bewegung Engagierten bewundern, zumindest die Bezirksgruppe Tempelhof-Schöneberg, die Kühnert und Wagenknecht ins stramm konservative Lichtenrade geholt hatte.
Neben aufrichtiger Selbstkritik im besten marxistischen Sinne und fruchtbaren Annäherungen („Gemeingüter gehören in die öffentliche Hand“, sagte Kühnert; „Zwischen Planwirtschaft und einem gnadenlosen Markt gibt es viel“, meinte Wagenknecht) führte das Publikum des zeitlich ausufernden Abends aber auch eindrücklich vor Augen, was linke Mehrheiten so schwierig macht: Egos, die aus aufrichtiger, aber verkrusteter Überzeugung oder aus antrainiertem Misstrauen das konstruktive Gespräch behindern.
Hilfreich war sicher auch nicht, wie viele linke Themen, Politikebenen und Personen die Veranstaltenden an einem Abend sammeln wollten. Denn neben Kühnert und Wagenknecht sprachen auch Raoul Didier vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Michael Prütz von Deutsche Wohnen und Co. enteignen und Mohsson Massarrat von Attac zu der nicht gerade bescheidenen Frage „Das Land verändern! Aber wie?“
Dass gerade eine jugendliche Bewegung dabei ist, dass Land zu verändern, gab den versammelten und bei Wahlen abgeschlagenen Linken zu denken. Während Kühnert sich eher anerkennend zu den Fridays for Future äußerte, stellte sich Wagenknecht jungen Menschen zur Seite, die nicht zum FFF-Milieu gehören würden: „Die einen beschäftigen sich mit dem Ende der Welt, die anderen wissen nicht, was Ende des Monats ist.“ Der emeritierte Professor Peter Grottian, der im Publikum saß, behauptete wiederum, bei FFF würden sich keine Studierenden engagieren. Das blieb nicht unwidersprochen.
Auf die Idee die erfolgreichen jungen Klimaaktivist*innen oder auch die Grünen einzuladen, ist in der linken Sammlungsbewegung aber scheinbar niemand gekommen. Klimaschutz bleibt hier für manche nur ein Nebenwiderspruch.
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