Stefan Goldmanns Klanginstallation „alif“: Wiederholung macht Hoffnung

Stefan Goldmann ist der reflektierteste Techno-Produzent Deutschlands. Seine Klanginstallation „alif“ wird im Berliner Radialsystem aufgeführt.

Stefan Goldmann mit Basecap

Kein Freund des Begriffs Bewusstseinserweiterung: Stefan Goldmann Foto: Stefan Botev

„Wenn etwas nach zwei Minuten langweilig wird, probiere es für vier. Ist es das immer noch, probiere es 8, 16, 32 Minuten lang. Irgendwann zeigt sich, dass es alles andere als langweilig ist.“ Dem Diktum von John Cage entspricht auch Stefan Goldmann. Der Berliner Musiker ist überzeugt, dass bestimmte Dinge erst nach einer gewissen Dauer wahrgenommen werden. Neben dem Prinzip der Wiederholung als musikalisches Element verbindet den Techno-Produzenten mit Cage auch ein Wille zum Experiment – und Querdenkertum.

Wenn Goldmann nicht gerade ein Techno-Set in einem Club spielt oder mit einem Orchester für Neue Musik in einer Konzerthalle gastiert, schreibt er kulturkritische Essays über Grundlagen und Folgen seines künstlerischen Schaffens.

2013 veröffentlichte Goldmann „Ghost Hemiola“, ein unbespieltes Album, bei dem ausschließlich das Knistern der Plattennadel beim Abtasten des Vinyls zu hören ist. Es soll dazu einladen, die Rillen mit einem Messer zu ritzen, um eigene Loops zu erzeugen. Wie bei Cages Stück „4:33“, bei dem ein Pianist bewusst tatenlos bleibt, wird hier die passive Rolle der Hörer infrage gestellt.

So radikal Goldmanns Konzepte sind, so bedächtig schwebt seine Stimme durch das Studio, das ähnlich aufgeräumt wirkt wie die Straßen im Berliner Bezirk Charlottenburg, in dem es liegt. Am Freitag ist die Premiere seines Projekts „alif“.

Legere Erscheinung

Die experimentelle Konzertinstallation ist ein Gemeinschaftswerk mit der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota, dem palästinensisch-israelischen Komponisten Samir Odeh-Tamimi, dem Blockflöten-Virtuosen Jeremias Schwarzer und dem Zafraan Ensemble. „Die Idee entstand, als ich während eines Workshops 2012 in Kioto auf Schwarzer traf“, sagt Goldmann, der in Basecap, Wollpullover und Hausschuhen auf einem Bürostuhl sitzt.

Stefan Goldmann: „Presets. Digital Shortcuts to Sound“, The Tapeworm, Berlin, 2015, 219 S., 10 Euro

Stefan Goldmann: „alif“, 18.3/19.3. Radialsystem Berlin. Weitere Aufführung: 10.6 „ION“-Festival Nürnberg

Es gehe darum, gegensätzliche Musik zusammenzubringen, also seinen technoiden Sound, der sich über einen langen Zeitraum ausdehnt, und Odeh-Tamimis Ensemblestücke, die weit weniger stetig sind und oft Klangeruptionen enthalten.

Neben der Musik lebt das vierstündige Werk von der raumübergreifenden Installation Shiotas: Aus transparenten Dialyseschläuchen, die von der Decke hängen, wird eine rote Flüssigkeit gepumpt. „Dazu gibt es Videos von den Schläuchen und den verstärkten Ton von den Pumpen, die ein rhythmisches Klickgeräusch produzieren“, sagt der 37-Jährige.

Das Publikum ist dabei eingeladen, sich frei zu bewegen und zwischen den Musikern hin und her zu wandeln. Der Titel der Konzertinstallation stammt aus einer alten Sufi-Geschichte. Sie erzählt von einem Schüler, der jahrelang das Schreiben von alif übt, dem ersten Buchstaben des arabischen Alphabets, der aus einem einzigen Strich besteht. Als er später an die Schule zurückkehrt und Buchstaben an die Tafel zeichnet, zerbricht die Wand dahinter in zwei Teile. Die akribische Wiederholung als Übung ähnelt dem, was Goldmann an Techno begeistert.

Stefan Goldmann

„Es kommt nicht nur auf Klänge an, sondern auch darauf, wie sie genutzt werden“

Die Arbeit mit Sequenzern wie dem „TB 303“ von Roland erforderte Geduld, denn man musste ewig ausprobieren, weil sie der menschlichen Intuition widersprachen. Bald wurde der vermeintliche Zufall zum kompositorischen Element. „Die Metapher der Einübung von Schrift bedeutet für mich, dass man sich Dingen, die man nicht versteht, durch Wiederholung annähern kann. Welche Strukturen innerhalb zufälliger Anordnungen Sinn machen, lässt sich so erst evaluieren.“

Goldmann sagt das, ohne auch nur einen Moment seinen Sprechfluss zu unterbrechen. Das sei auch eine Parallele zu arabischer Musik, auf die die Stücke von „alif“ verweisen. Diese wird meist über Praxis und weniger über Theorie gelehrt und stehe dadurch der elektronischen Clubmusik näher als vermutet.

Babylonische Tempelform

Arabische Tonsysteme bestehen im Gegensatz zu westlichen nicht aus exakten mathematischen Schwingungsverhältnissen – sichtbar am Klavier, wo die Tonabstände durch Tasten fixiert sind –, sondern aus Mikrotönen, die für westliche Ohren oft als „schief“ empfunden werden. Am Synthesizer lassen sich beliebige Tonhöhenverläufe erzeugen. Das hat Tradition im Techno. Wie viel Platz räumt ein Produzent, der in Clubs Menschen zum Tanzen bringt, eigentlich den sinnlichen Aspekten ein? „Ich halte wenig von Begriffen wie Bewusstseinserweiterung.

Die Behauptung, diese oder jene Musik trage konkrete Bedeutung, hält auf Dauer nicht stand. Sie ist subjektiv. Am Ende bleibt immer Struktur. Niemand erfasst heute noch die konkreten Bedeutungen babylonischer Tempel. Deren Formen wirken trotzdem.“

Ähnlich ambivalent ist sein Verhältnis zur aktuellen Musikproduktionslandschaft. In seinem kürzlich erschienenen Buch „Presets – Digital Shortcuts to Sound“, einem Interviewband, der etwa Gespräche mit dem Musiker und Softwareentwickler Robert Henke, dem Produzenten Michael Wagener und dem bildenden Künstler Cory Arcangel enthält, geht es um Auswirkungen von musikalischer Digitalisierung durch Presets. Presets sind Werkseinstellungen in Musiksoftware, also fertige Sounds und Effekte, die den Kompositionsprozess am Computer vereinfachen – aber auch dazu führen, dass Clubmusik zunehmend ähnlich klingt. Was in der Szene oft als künstlerisch minderwertig betrachtet wird.

Dabei, lässt sich einwenden, hat auch jedes analoge Instrument Presets. Die sechs Saiten der Gitarre sind im selben Abstand gestimmt und geben damit bereits Struktur vor. Die Verwendung von Presets ist auch in der Filmmusik üblich. „Die meisten Soundtracks werden aus Sample-Bibliotheken hergestellt.“ Sie bestehen laut Goldmann aus Aufnahmen von professionellen Orchestern. „Der Soundtrack für die US-Serie ‚House of Cards‘ wurde auf diese Weise komponiert.“

Wie geht er selbst mit dieser Situation um? „Ich war lange Zeit der Ansicht, elektronische Musik bedeute, ausschließlich eigene Klänge und keine Presets zu verwenden.“ Mittlerweile sieht Goldmann das anders. Komme es doch nicht nur auf die Klänge selbst an, sondern auch darauf, wie sie genutzt werden.

Kulturpessimismus liegt ihm ohnehin nicht. „Es gibt Menschen, die glauben, dass das wohltemperierte Klavier eine klangliche Verarmung darstellt.“ Dabei brachten jedes Instrument, jede Technologie neue Stile hervor. So war der Drumcomputer 909 ursprünglich als Instrument für Alleinunterhalter gedacht. Dann erfanden junge afroamerikanische Produzenten mit dessen wuchtigen Bassdrumsounds HipHop – und etwas später Acidhouse. „Nichts bleibt, wie es ist. Was an hetigen Standards stört, ist morgen Basis großartiger neuer Ideen.“

In einer von Nostalgie infizierten Zeit, in der viele die Unmöglichkeit beklagen, innovativ zu sein, machen Goldmanns Ideen Hoffnung. Und die ist nicht nur im Bereich der Kunst wichtiger denn je.

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