Stefan Alberti ist schockiert von motorisierter Ignoranz: Da helfen nur noch Poller
In der Redaktion waren teilweise selbst bei Hardcore-Radlern Zweifel aufgekommen. Noch vom Pressetermin mit der Verkehrssenatorin hatte nämlich der Kollege erste Fotos der rot-weißen Poller geschickt, die künftig Radstreifen von den Auto-Fahrspuren trennen sollen. Mmh, so soll das stadtweit aussehen? Ist das wirklich nötig? Vor allem, wenn’s schnurstracks geradeaus geht? Es bedurfte wieder mal eines Praxisschocks, um all diese Fragen mit einem klaren „Ja“ beantworten zu können. Denn offenbar geht es ohne Poller einfach nicht.
Das Zweifeln hatte begonnen, als jüngst die ersten Radstreifen grün eingefärbt wurden. Sie leuchten derart, das weiße Radfahrsymbol darauf scheint derart unübersehbar, dass nichts anderes mehr nötig schien, um Autos fernzuhalten. Grüner kann’s nicht werden, so was kann man und frau doch nicht übersehen, so doof kann man doch nicht sein … Falsch gedacht.
Ein Vormittag dieser Tage vor der Freien Universität in Dahlem. Die Thielallee, die dort am großen Hörsaalgebäude vorbeiführt, hat ab der Kreuzung mit der Habelschwerdter Allee einen dieser satt grünen Radstreifen, der an Einfahrten oder Kreuzungen leuchtend rot wird. Das alles hindert aber an diesem Morgen die Dame Ende 50 am Steuer ihres Mittelklassewagens nicht, sich zum Rechtsabbbiegen an der Ampel auf ebendieser grünen Fläche zu platzieren.
Allminütliche Ignoranz
Das allein wirkte schon skurril genug, weil just vor dieser Kreuzung auch noch ein feistes Radsymbol auf den Boden gemalt war. Doch die Autofahrerin fuhr nicht bloß, wo sie nicht fahren durfte – sie gestikulierte auch wild und protestierend, als neben ihr eine Radfahrerin auf dem verbliebenen Radweg-Rest an ihr vorbeiradelte. Alles in Sachen Ignoranz an sich bekannt und in weniger geruhsamen Gegenden der Stadt als Dahlem nicht alltäglich, sondern allminütlich – aber eben wegen des schreiend grünen Streifens dennoch aufs Neue unfassbar.
Wie gesagt: Da war kein testosterongesteuerter Raser unterwegs, kein „Hier komm ich“-Mann, sondern eine ganz normal wirkende Frau, soweit sich das durch die Autoscheibe beurteilen ließ. Aber auch das hilft offenbar nicht mehr weiter, bei derartiger Ignoranz gegenüber Radfahrern wirkt auch leuchtendste Farbe nicht. Ergo: Ohne Poller geht’s nicht. Ein klassischer Fall von Güterabwägung: Schönheit hat da halt gegenüber Sicherheit zurückzustehen.
Nicht dass Radfahrer nicht ignorant sein können – davon zeugen die Ungezählten, die schwarz gewandet und ohne Licht durch die Nacht fahren und „Rot“ ignorieren. Denen ist nur mit mehr Fahrradstaffeln zu begegnen. Ignorante Autofahrer kriegt man mit Pollern auf Distanz – also schnell her damit!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen