Stefan Alberti genießt es, noch mal mit der guten alten offenen BVG-Fähre zu fahren: Auf Retrotour über den Wannsee
Wie habe ich das vermisst! Vorn im Bug zu hocken, der die Wellen des Wannsees teilt, Sonne im Gesicht, Wind in den Haaren. Oder am Heck. Oder auf dem Oberdeck. Drei Jahre habe ich dieses Gefühl entbehren müssen. Seit jenem Abend 2014, an dem ich zum Hafen Wannsee kam, voller Vorfreude auf die Überfahrt, und dann statt der altgewohnten Fähre vom Vorjahr eine Art vollverglaster schwimmender Bus am Steg lag. Stickige Luft drinnen, offen nur der seitliche Zugang – nein, damit wollte ich nicht fahren. Nur an Herbsttagen war ich seither mit dieser Fähre unterwegs.
Doch in dieser Woche ist alles wie früher. Da ist statt der „MS Wannsee“, des schwimmenden Busses, die alte „MS Tempelhof“ im Einsatz – das moderne Schiff ist zur Inspektion. „Ach, seit Montag fährt die hier schon? Da habe ich ja schon zwei Tage verpasst“, sagt eine Frau an Bord. Aber sie hat Hoffnung: „Vielleicht dauert das länger mit der Überprüfung – beim BER werden sie ja auch nicht fertig.“
Bei der Besatzung finden sie die Traditionsbegeisterung in dieser Woche weit weniger lustig: 160 Leute würden auf die Fähre passen, 160 habe man am Vortag stehen lassen müssen. Schon immer kollidierte die BVG-Sicht, die Fähre als normale stündliche Verbindung von A nach B zu betrachten, also von Wannsee nach Kladow, mit dem Nutzerverhalten, daraus eine Wannsee-Dampferfahrt zu machen, für kleines Geld oder für ganz umsonst mit BVG-Monatskarte.
An diesem Morgen sind es um 9 Uhr knapp dreißig Passagiere und acht Räder, die Richtung Kladow ablegen. Eine Stunde später stehen am Anleger schon gut hundert, darunter knapp 20 mit Rädern – mehr Stellplätze hat die Fähre auch nicht. Einem Radler, der gleichfalls die offene Überfahrt genießt, graust es schon vor der nachmittäglichen Rückfahrt: „Das wird supervoll.“ Und auch wer gleich wieder zurückwill, muss erst mal raus und sich am Kladower Anleger ganz hinten anstellen.
Extraschichten einlegen geht nicht – die BVG hat nicht mal einfach ein paar Fähren in Reserve. Als Radler dreht man da zurück lieber die schöne Runde via Sacrow, Krampnitz und ein Stück entlang der B2, biegt zum Neuen Garten ab und kommt über das Ex-Buga-Gelände sehr lauschig zur Glienicker Brücke und zurück zum Wannsee.
Die moderne Fähre, die Montag wieder fahren soll, hat nicht für 160, sondern für 300 Personen Platz und zudem für 60 Räder, dreimal so viel wie die „MS Tempelhof“ oder die bis 2014 hier fahrende „MS Lichterfelde“. Und ja, der neue Schiffsdiesel wummert bei Weitem nicht so laut. Selbst an diesem sonnigen Mittwoch sitzt nur einer am Heck, wo der Motor die Bodenklappen vibrieren lässt. Gegen einen leiseren Diesel hat ja keiner was. Barrierefrei ist das alte Schiff auch nicht.
Aber warum muss bei der neuen Fähre alles quasi windschnittig abgedichtet sein wie beim ICE, obwohl die Fahrzeit gleich ist? Und wenn schon alles zu, warum dann kein Oberdeck? Eine größere Fähre mit Stühlen auf dem Dach, das wär’s gewesen. Donnerstag und Freitag lässt sich das Freiheitsgefühl im Bug noch erleben, Sonne im Gesicht, Wind in den Haaren. 6 Uhr die erste Fähre hin, 19.31 Uhr die letzte zurück ab Kladow – so denn noch Platz ist.
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