■ Steckt das algerische Militär hinter den Anschlägen?: Die Regierung muß Klarheit schaffen
Die Krise des algerischen Regimes ist nicht mehr zu übersehen. Während die Bürger versuchen, mit Demonstrationen ihrem Unmut angesichts des allzu offensichtlichen Wahlbetrugs Luft zu machen, laufen den Militärs jetzt die eigenen Leute davon. Bloß nicht dabei sein, wenn die internationale Gemeinschaft vielleicht doch noch Rechenschaft für die Krise verlangt, die das Land seit dem Abbruch der Wahlen nach dem Sieg der Islamischen Heilsfront 1991 ergriffen hat.
Ob bei The Independent, The Observer oder Le Monde, überall melden sich redewillige Deserteure. Was sie erzählen, haben viele im Land längst vermutet und, wenn sie sich unbeobachtet wähnten, offen ausgesprochen: Zumindest hinter Teilen der Anschläge und Massaker steckt die Staatssicherheit selbst. Die Deserteure beschuldigen die beiden hochrangigen Generäle Mohammed Mediane, Chef des Geheimdienstes DRS, und Smain Lamari, Verantwortlicher für Spionageabwehr, hinter den blutigsten Aktionen der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) zu stecken – ja, deren grausamste Führer selbst herangezogen zu haben.
Mit den Massakern soll die Bevölkerung in Angst und Schrecken gehalten werden, um sie so in die Arme derer zu treiben, die mit einem Staatsstreich an die Macht kamen. Erste spärliche Kritik im Ausland wurde ebenfalls mit Terroraktionen zum Verstummen gebracht. Die Verantwortung für die Bomben in Frankreich liegt nach Aussagen der abtrünnigen Militärs direkt bei der algerischen Botschaft in Paris.
Auch wenn sich die aussagefreudigen Soldaten und Polizisten teilweise in Widersprüche verstricken oder wahre Räuberpistolen über eine mutmaßliche Zusammenarbeit von Algerien und dem Irak verbreiten, muß ihren Vorwürfen durch eine unabhängige Untersuchungskommission nachgegangen werden. Denn zu viele Indizien sprechen für ihre Richtigkeit: Soldaten, die lieber in den Kasernen blieben, anstatt Massakeropfern zur Hilfe zu eilen. Attentäter, die wie der eiligst als Mörder des Gewerkschaftschefs Ben Hamouda vorgeführte Rachid Medjahid oder einer der Attentäter gegen Präsident Boudiaf unter ungeklärten Umständen ums Leben kamen etc.
„Wir in Algerien wissen, wer hier wen ermordet“, antwortete Außenminister Ahmed Attaf am Tag vor den Kommunalwahlen, als die ausländische Presse ihre Zweifel anmeldete. Die Worte könnten ihm nach den Enthüllungen der letzten Tage schon bald im Hals steckenbleiben. Reiner Wandler
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