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Stausee der Erinnerung

■ Fotografin Ingeborg Sello hat Hamburgs Nachkriegskünstlerleben porträtiert

Die Ausstellung ist nicht nur wie eine Zeitreise, sie zeigt auch wieviel Kulturschaffende zwischen 1948-82 in Hamburg präsent waren: Die Bilder der Hamburger Fotografin Ingeborg Sello aus mehr als dreißigjähriger Arbeit haben sie alle gebannt. Aus über zwanzigtausend Fotos seiner 1982 verstorbenen Mutter hat jetzt Thomas Sello, leitender Museumspädagoge der Kunsthalle, eine Auswahl mit Fotografien zusammengestellt, die seit 1948 für die Feuilletons Hamburger Zeitungen gemacht wurden.

„Das wichtigste beim Fotografieren scheint mir, daß man an jede Aufnahme wie an die erste herangeht“ sagte Ingeborg Sello 1955 anläßlich ihrer ersten Ausstellung, und das gute Klima zwischen Porträtierten und Fotografin ist tatsächlich legendär. So geben die Bilder zwischen Selbstinszenierung und Intimität eine Intensität wieder, wie sie heutige Reportagefotos nicht mehr aufweisen. Prominenz erledigte nicht schnelle Fototermine im Blitzlichtgewitter, sondern ließ sich auf den Dialog mit der Fotogafin in langen Porträtsitzungen ein.

Als Ingeborg Sello, inzwischen auch als Kunstkritikerin schreibend, 1977 in der Galerie Neuendorf David Hockney traf, drehte der den Spieß um und fotografierte sie selbst, inszeniert in der typischen Pose seiner Modelle. Doch gerade während dieses Spiels gelang ihr ein überaus entspanntes und ungewöhnliches Bild des englisch-californischen Pop-Art-Meisters.

Auf einen Dialog zwischen der Fotografin und einem ihr immer wieder zum Modell dienenden Künstler geht auch der Titel von Ausstellung und Buch zurück: Horst Janssen zeichnete als Dank für eine Sendung von Porträts ein „Auch ein Hotel“ betiteltes Blatt, auf dem eine Kamera als Haus in idyllischer Landschaft steht und ein Fluß der Fotooptik entspringt.

Nun, wo sich der Fluß zum großen See des Nachlaßes gestaut hat, ist er ein Reservoir der Erinnerung an alte Künstlerkämpfe wie den Krach im Künstlerbund 1953, die umstrittene Tagung des Ost-PEN 1961 in der Universität und eine Dokumentation der großen Künstler von Oskar Kokoschka über Max Ernst bis Joseph Beuys.

Aus heutiger Sicht erstaunt besonders, wie bürgerlich die künstlerische Avantgarde vor 1968 auftrat. In dieser Auswahl ist es erst Joseph Beuys mit seinen ausgreifenden Gesten, der nicht mehr in Schlips und Kragen und mit dem Pinsel in der Hand vor seinem Werk auftritt und so den Wandel des tradierten Künstlerbildes ganz deutlich werden läßt.

Hajo Schiff

„Fotos für das Feuilleton“, Kunsthaus BBK, Klosterwall 15, bis 8. April; Katalogbuch im Verlag Dölling und Galitz, 36 Mark

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