Status der Westsahara: Sieg und Niederlage für die Polisario
Der Europäische Gerichtshof lehnt eine Klage der Westsahara-Befreiungsfront ab. Doch sie trägt trotzdem einen politischen Sieg davon.
Die Westsahara ist eine wüstengeprägte Region südlich von Marokko, in der nur rund 540.000 Menschen leben. Früher war die Westsahara eine spanische Kolonie, doch nach dem Tod von Diktator Francisco Franco zog sich Spanien in den 1970er Jahren zurück. Weite Teile der Region annektierte daraufhin das Königreich Marokko.
Nur im Landesinnern beherrscht die Polisario zwei größere Territorien. Rund 100.000 Sahrauis leben noch in Flüchtlingslagern in Algerien. Seit den 1960er Jahren wird über die Durchführung eines Referendums gestritten, in dem die Bewohner der Westsahara selbst über ihre Zukunft entscheiden können.
Marokko und die Polisario können sich jedoch nicht darüber einigen, wer dabei stimmberechtigt sein soll.
Prüfung versäumt
Im Jahr 2012 schloss die EU mit Marokko ein Abkommen über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und mit Fisch. Die Polisario klagten dagegen, weil Marokko keine Abkommen schließen könne, die auch die Westsahara betreffen.
In einem ersten Urteil entschied das EU-Gericht erster Instanz (EuG) im Dezember 2015 zugunsten der Polisario. Es beanstandete das Abkommen, weil der EU-Rat bei der Aushandlung seine Pflichten verletzt habe. Er habe versäumt „zu prüfen, ob es keine Anzeichen dafür gebe, dass die Nutzung der natürlichen Ressourcen des von Marokko kontrollierten Gebiets der Westsahara zum Nachteil ihrer Bewohner erfolgen und deren Grundrechte verletzen könnte.
Marokko war empört und setzte aus Protest gegen das Urteil im Februar 2016 sogar die offiziellen Beziehungen zur EU aus. Darauf legte der EU-Ministerrat, das Gremium der EU-Regierungen, Rechtsmittel ein und beantragte sogar ein beschleunigtes Verfahren.
Nun hat die Große Kammer des EuGH ihr Urteil verkündet und es dürfte Marokko genauso wenig gefallen – denn letztlich ist es noch radikaler.
Selbstbestimmungsrecht der Völker
Anders als die Vorinstanz geht es nämlich davon aus, dass das EU-Marokko-Abkommen die Westsahara gar nicht betrifft. Wenn vom Königreich Marokko die Rede ist, sei nur das eigentliche Hoheitsgebiet gemeint. Mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die völkerrechtlich ungeklärte Situation der Westsahara müsse das Abkommen so ausgelegt werden, dass es die Westsahara nicht erfasst.
Wenn aber das EU-Marokko-Abkommen in der Westsahara gar nicht gilt, so die Schlussfolgerung des EuGH, dann sei die Polisario von diesem Abkommen auch nicht betroffen. Und wenn sie nicht betroffen ist, dann könne sie auch nicht klagen.
Die Klage der Polisario wurde daher abgewiesen. Das heißt: Das EU-Marokko-Abkommen bleibt bestehen, aber eben nicht mit dem Geltungsbereich, den Marokko gerne hätte. (Az. C-104/16)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen