: Statt der schnellen Mark die große Enttäuschung
■ Viele Ostberliner Jungtaxifahrer haben sich durch den Kauf eines Mercedes hoch verschuldet / Neue Westtarife bringen das Geschäft fast zum Erliegen / Magistrat und Senat einig über Aufhebung des Kabotageverbotes für alle Taxen bis Jahresende
Ost-Berlin. Seitdem in der DDR Gewerbefreiheit herrscht, hat sich die Zahl der in Ost-Berlin zugelassenen Taxis auf knapp 2.000 mehr als verdoppelt. Die Gesamtberliner Kundschaft könnte somit von über 7.000 Droschken bedient werden. Da aber der erste von Senat und Magistrat unternommene Versuch, das Berliner Taxigewerbe kurzerhand wiederzuvereinigen, schon nach einem Tag gescheitert war (die taz berichtete), dürfen die Droschken weiterhin nur im jeweils heimischen Teil der Stadt auf Kundenfang gehen. Während im Westteil der Stadt das Geschäft floriert wie seit langem nicht, kringeln sich im Ostteil die Wagen in Doppelreihen um ihre Halteplätze.
Nicht wenige der Jungunternehmer im Gewerbe haben sich hoch verschuldet, um einen nagelneuen Daimler oder Audi anzuschaffen. Die schnelle Mark schien sicher - bis zum 1. Juli. Mit der Westwährung kamen auch die Westtarife, und das Geschäft brach völlig zusammen. Und immer noch werden früher vom VEB Taxi, jetzt vom Magistrat - Konzessionen ausgegeben. Ein Ausgabestopp ist laut Aussage von Magistratssprecher Kunis auch vorerst nicht vorgesehen. „Die Schmerzgrenze ist schon lange überschritten, der Markt ist dicht“, schimpft Joachim Marquardt, Vorsitzender des „Verbandes der (Ost-)Berliner Taxifahrer“ (VBT) mit Sitz in Prenzlauer Berg. Der Verband hatte gemeinsam mit der Taxi -Innung Ost die Einführung der neuen Tarife unterstützt und mußte deswegen von vielen Fahrern schwere Vorwürfe einstecken. Marquardt rechtfertigt sich: Darüber, daß nach der Streichung der staatlichen Subventionen neue Tarife eingeführt werden mußten - die alten waren seit 1956 unverändert niedrig gehalten worden -, waren sich alle einig.
Mit solch einem Einbruch im Geschäft hat niemand gerechnet. „Das Komsumverhalten ist völlig unberechenbar geworden“, erklärte Uwe Sabin, Fahrer und im Vorstand des VBT. Sabin übt im nachhinein Kritik an vielen Kollegen. „Taxifahren in der DDR war ja nie die Dienstleistung, die es eigentlich sein sollte, sondern eher ein Expreßschnelltransport. 'Brettern, brettern, Kohle machen‘, unter diesem Motto haben viele Kollegen gearbeitet!“ Der Fall eines Fahrers, der, um sich die Mittagspause zu sparen, in voller Fahrt eine Fischbüchse leerte und dabei einen schweren Unfall verursachte, sei leider keine Ausnahme gewesen. Das Geld lag auf der Straße und mußte nur eingesammelt werden. Jetzt hofft man auf eine langsame Normalisierung des Konsumverhaltens im Osten und darauf, bald ein größeres Stück vom Gesamtberliner Kuchen abzubekommen, sprich: die baldige Aufhebung des „Kabotageverbotes“, das das Laden von Fahrgästen im Westen verbietet. Möglichst schnell möchte die Taxiwiedervereinigung auch Siegfried Eisenhut vollzogen sehen, stellvertretender Geschäftsführer der „Taxi Berlin GmbH“, ehemals Kombinatsbetrieb Taxi.
Die Geschäfte des europaweit größten Taxibetriebes gehen schlecht. 2.300 Mitarbeiter (davon 1.400 Fahrer), 545 Droschken, 550 Mietwagen, eine Fahrschule und diverse KFZ -Werkstätten müssen neu organisiert werden. Der Mammutbetrieb wird in kleine Einzelunternehmen zergliedert. Ohne Joint-ventures läuft da gar nichts: Daimler-Benz steigt in die Autowerkstätten ein, an der ehemals betriebseigenen „Spreefunk GmbH“ sind bereits drei Westberliner Gesellschafter beteiligt. Der Taxibestand an Wolgas und Ladas soll bis zum Jahresende in die Sowjetunion reimportiert und vollständig durch westliche Automarken wie Mercedes, Volvo und Audi ersetzt werden. Den anstehenden finanziellen Kraftakt hofft man teils aus Eigenkapital, teils mit Hilfe von Leasingverträgen bewältigen zu können. Und wenn das Geschäft weiterhin so schlecht läuft, daß die Fahrer bei einer Tageskasse von 100 bis 150 DM nicht einmal die Hälfte der Unkosten einfahren? Siegfried Eisenhut, ein bescheidener Mann in einem ebenso bescheidenen Büro, lacht: „Erst werden wir Kredite aufnehmen und dann Bankrott anmelden.“ Ohne Galgenhumor geht im Gewerbe gar nichts mehr.
2.000 Kollegen und/oder Konkurrenten mehr, dichtes Geschäft und noch dichtere Straßen - die Reaktionen der Westberliner Taxifahrer bezüglich eines vereinten Taxigewerbes reichen von derben Drohungen gegen die zukünftigen Kollegen bis zu zaghafter Solidarität. Schließlich habe sich das Geschäft seit dem Mauerfall ja merklich belebt, geben manche Fahrer zu. Und, fast noch wichtiger: Abenteurgeist ist wieder gefragt. Fahrten nach Tegelort oder Kladow, früher der Gipfel an innerstädtischer Bewegungsfreiheit, haben ihre Exotik verloren, seitdem Werneuchen und Wustermark angesteuert werden können.
Inzwischen wird laut Aussage von Keijuweit, Pressesprecher von Verkehrssenator Wagner, „fieberhaft“ an einem gemeinsamen Ordnungsrahmen gearbeitet, der die Erteilung von Gewerbegenehmigungen und Taxikonzessionen regeln soll. Von der einheitlichen Eichung der Taxameter über eine gemeinsame Ortskundeprüfung („Wie fahren Sie auf dem kürzesten Wege von der Werner-Seelenbinder-Halle zum Spandauer Johannesstift?“) bis zur ausführlichen Sach- und Fachkundeprüfung reichen die Punkte in dem künftig für Ost- und Westfahrer verbindlichen Katalog.
Darüber, daß das Kabotageverbot spätestens bis zum Jahresende aufgehoben wird, sind sich Senat, Magistrat, und die Verbände Ost wie West einig. Die Ängste vieler Westkutscher vor dann zu erwartenden Umsatzeinbußen kann Keijuweit zwar „vom geschäftlichen Standpunkt aus nachvollziehen, vom politischen aber nicht“, wie er betont. Da bleibt abzuwarten, ob „politisches Bewußtsein“ siegt, wenn's an die eigene Brieftasche geht.
Barbara Wollborn
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