: Statt Grotewohl Linden und Pappeln
400 ehemalige DDR-Schulen im Ostteil der Stadt müssen sich neue Namen suchen/ In Lichtenberg wurde gestern eine Schule erneut nach der Widerstandskämpferin Mildred Harnack benannt ■ Von Hans Monath
Berlin. In der Lichtenberger Hochhaussiedlung südlich der Frankfurter Allee wurde Mildred Harnack gestern, zum 50. Jahrestag ihrer Ermordung durch die Nationalsozialisten, eine Ehre zuteil, die dem Andenken der Widerstandskämpferin vor 16 Jahren schon einmal erwiesen worden war: Volksbildungsstadtrat Jürgen Bergmann (SPD) enthüllte an der Fassade der 5. Gesamtschule in der Schulze-Boysen-Straße eine Tafel mit dem Namen der 1902 in den USA geborenen Dozentin. Nach gut einjähriger Pause trägt die Schule damit wieder den Namen jener Frau, die gemeinsam mit ihrem Mann Arvid in der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ aktiv gewesen war.
Die Enthüllung der schlichten Namenstafel an dem mehr als 80 Jahre alten Schulbau nahe dem ehemaligen Stasi-Hauptquartier in Lichtenberg ist ein geglückter Fall der Namensgebung einer Schule in Ostberlin. Die ehemaligen DDR- Lehranstalten nämlich wurden nach der Vereinigung zum Jahreswechsel 1991/92 aufgelöst und neugegründet. Ihre alten Namen, so bestimmte es das seit August 1991 auch im Osten geltende Berliner Schulgesetz, mußten sie abgeben. Ein Umstand, der vielen Ostberlinern nicht gefiel: „Liquidiert“ worden sei der Name Mildred Harnack damals, erinnert sich mit Groll in der Stimme Manfred Klunker, Vorsitzender der Interessengemeinschaft „Bürger Frankfurter Allee Süd“, der sich für die Beibehaltung des alten Namens eingesetzt hatte.
Nun aber sind Rektoren und Lehrer von 400 Schulen im Ostteil der Stadt aufgefordert, wieder einen Namen bei der Schulverwaltung des Senats zu beantragen. Rund 100 Vormerkungen haben die dort für die Namensgebung zuständigen Mitarbeiter schon gesammelt – die Prozedur soll sicherstellen, daß ein Name nicht zweimal vergeben wird. Namen führender DDR-Politiker wie Otto Grotewohl, Walter Ulbricht oder Willi Stoph werden in keinem Berliner Schulverzeichnis mehr auftauchen. Auch Ilja Ehrenburg, von DDR- Pädagogen als Vorbild geschätzt, hat sich nach Ansicht des Lichtenberger Bildungsstadtrats Jürgen Bergmann als Namensgeber diskreditiert. „Bauchschmerzen“ bekäme der Sozialdemokrat, falls eine Schulkonferenz sich für den Sowjetautor entschiede. Schließlich hatte der den als Ansporn für die Rote Armee gemeinten Satz geprägt: „Nur ein toter Deutscher ist ein guter Deutscher.“
Im Gegensatz zur Allgegenwart politisch-vorbildlicher Persönlichkeiten in der Namensgebung aus DDR-Zeiten überlegen viele Schulen nun, ob sie nicht „völlig neutrale Namen“ wählen sollen, wie Stadtrat Bergmann in seinem Bezirk beobachtete. Politische Konflikte um einen Namenswunsch hat er deshalb bislang genausowenig austragen müssen wie seine Kollegen von den Bezirken Pankow oder Friedrichshain. Und auch in der Senatsschulverwaltung ist noch kein Antrag eingegangen, gegen den die Schulverwalter Bedenken hatten. Im Gegenteil: Die völlig unverfänglichen Namen wie Lindenschule, Schule am Pappelhof oder Schule an der Heide haben Konjunktur.
Konflikte entzünden sich vielmehr vor allem an Doppelbenennungen. So wollte das Pankower Ossietzky-Gymnasium nicht auf die Erinnerung an den Antimilitaristen und Friedensnobelpreisträger verzichten, obwohl eine Kreuzberger Gesamtschule schon dessen Namen im Briefkopf trägt, und in Friedrichshain wollte die 13. Grundschule zurück zu Heinrich- Zille-Oberschule, die im Westen schon präsent ist. Die Lösung: Bei den Ostberliner Schulen wurde der Vorname des Zeichners und Fotografen ebenso weggelassen wie der des Nobelpreisträgers.
Den Namen Mildred Harnack sieht die Lichtenberger Schulleiterin Christina Reich auch als ein Zeichen an ihre 527 Schülerinnen und Schüler in einer politisch schwierigen Zeit. Schließlich sei Mildred Harnack nicht durch 13 Jahre DDR diskreditiert. Namen vieler Persönlichkeiten, so meint der Lichtenberger Bildungsstadtrat, wurden vor 1989 mißbraucht, ohne daß dies den Namensgebern anzulasten gewesen wäre: „Manche dieser Menschen“, so meint Jürgen Bergmann, „wären damals aus dem Grab gestiegen, wenn sie gehört hätten, wozu ihr Name mißbraucht wird.“
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